Das christliche Menschenbild. Eine ganz kurze Einführung

18. Februar 2008


Text eines Vortrags, gehalten am 16.02.2008 im Philosophischen Café der KSG Edith Stein (Berlin)

Die Frage, was der Mensch sei, ist nicht neu. Seit zweieinhalbtausend Jahren ringt man um eine Antwort. Neu ist heute, dass im Ökonomismus der säkularen Gesellschaft ein Klima in die Anthropologie Einzug erhält, dass die Menschenwürde von ihrem Träger, dem Menschen, zu trennen versucht und ihr damit die Unbedingtheit nimmt. Dem Menschen ist die Würde scheinbar nicht mehr verliehen, sondern er hat sie sich – polemisch formuliert – durch Wohlverhalten zu verdienen. So billigen die Befürworter der Folter dem Terroristen, von dem man annimmt, er wisse, wo die nächste Bombe explodiert, nur eine bedingte Würde zu, abhängig von seiner Auskunftsbereitschaft. In die Diskussion um die Verwertung von Embryonen zu Forschungszwecken stiehlt sich der Gedanke, menschlichem Leben gänzlich die Würde abzusprechen. Es zeigt sich etwa bei Peter Singer, wohin jemand gelangen kann, der das christliche Menschenbild mit dem Hinweis auf den darin enthaltenen „unangebrachte[n] Respekt vor der Lehre von der Heiligkeit des menschlichen Lebens“ (Praktische Ethik. 2. Aufl., Stuttgart 1994, 271) verwirft.

Wo aber – wie bei Singer – pragmatische Argumente sowie die individuelle Wunsch- und Interessensfähigkeit als notwendige Bedingungen des Menschseins betont werden, aus denen im Ergebnis so etwas wie schützenswerte Würde erst entsteht, dann wird man unweigerlich zurückverwiesen auf die ursprüngliche Frage Was ist der Mensch?

Ausgangspunkt der christlichen Anthropologie ist die Geschöpflichkeit und Gottebenbildlichkeit des Menschen. Gott schuf den Menschen als sein Abbild, so steht es gleich dreimal hintereinander in Gen 1, 26-27: „Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. […] Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. […]“.

Karl Barth beschreibt diese Schöpfung des Menschen als „ein Gespräch Gottes mit sich selbst, eine Beratung wie zwischen mehreren göttlichen Beratern und eine darauf begründete göttliche Beschlußfassung“ („Die Lehre von der Schöpfung“ In: Ders.: Die kirchliche Dogmatik. Zürich, Vol. III/2 1948, 204). Der Mensch sei dabei, so Barth, „im Bilde“ und „nach dem Bilde“ Gottes geschaffen (206), die imago Dei mithin in einer analogia relationalis gegeben. In der Folge von Gen 1, 26 spiegelt sich die innertrinitarische Bezogenheit Gottes in der Bezogenheit des Schöpfers zum Geschöpf und äußert sich in der Beziehung des einen Gottes zum Menschen.

In der Christologie wird die analogia relationalis in der Bezogenheit Jesu Christi zur Gemeinde konsequent fort-, ekklesiologisch aber auch fehlgedeutet, wenn sie mit Hinweis auf 1 Kor 11, 7-9 dazu herangezogen wird, die Bestimmung des Verhältnisses von Mann und Frau als eines der Über- und Unterordnung aufzuweisen. Denn während die Analogie des Schöpfungsgedankens im Verhältnis Jesu zur Gemeinde deutlich ist, da die Schöpfungselemente der Ursächlichkeit des Schöpfers und des Gnadenerweises erkennbar werden, können Formulierung der Art „[…] die Frau aber ist der Abglanz des Mannes“ (1 Kor 11, 7) schöpfungstheologisch als Analogie zum Verhältnis Gottes zum Menschen nur in einer sehr tendenziösen Interpretation der Genesis aufrechterhalten werden, die die Gleichrangigkeit von Frau und Mann ignoriert, wie sie dort selbst zum Ausdruck kommt: „[…] Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1, 27).

Mit der analogia relationalis wird die augustinisch-thomistische Lehre der analogia entis zurückgewiesen, die eine qualitative Gottebenbildlichkeit sucht, welche eine prinzipiell gleiche, nur unterschiedlich dichte Teilhabe am Sein für Gott und Mensch reklamiert sowie die von dem Ansatz der analogia entis abhängende reformatorische Auffassung eines Verlustes der Reinheit, des status integritatis, verworfen.

Mit der auf dem 4. Laterankonzil (1215) kanonisierten analogia entis-Lehre erklärt die christliche Philosophie die Erkennbarkeit Gottes durch den Menschen. Durch die ontische Entsprechung von Schöpfer und Geschöpf wird es diesem möglich, jenen zu erkennen. Dabei bedeutet analogia entis nicht Seinsgleichheit, sondern nur „Ähnlichkeit in der Unähnlichkeit“, oder wie es das 4. Laterankonzil im Zweiten Kanon feststellte: „[…] inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“ (etwa: „[…] zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre“). Mit dieser Auffassung gelingt eine ontologische Quadratur des Kreises: Die Seinsanalogie ermöglicht dem Menschen, von dem unendlich vom Menschen unterschiedenen Gott zu reden, ohne diese Unterschiedlichkeit in Frage zu stellen.

Wird hier von Barth die imago Dei als analogia relationalis beschrieben, so wird damit auf ihre Unverfügbarkeit für den Menschen hingewiesen. Im Gegensatz zur Beschreibung der Gottebenbildlichkeit als analogia entis wird diese so als Gabe Gottes verständlich (226). Dabei ist Gottebenbildlichkeit keine Qualität des Menschen, sie besteht nicht in etwas, das der Mensch ist oder tut, sondern sie besteht indem der Mensch selber und als solcher als Gottes Geschöpf besteht. Er wäre nicht Mensch, wenn er nicht Gottes Ebenbild wäre. Er ist Gottes Ebenbild, indem er Mensch ist. Damit ist die Würde des Menschen unveräußerlich, nicht von ihm zu trennen, weil die Gottebenbildlichkeit nicht von ihm zu trennen ist.

Folglich ist der Mensch als geschaffenes Ebenbild Gottes von seinem Ursprung, seinem Wesen und seiner Zielbestimmung her nicht eigenbestimmt, seine Würde ist, im Sinne Luthers, eine dignitas aliena, eine „fremde Würde“. Zugleich schafft Gott den Menschen in Freiheit, die jedoch, in richtigem Modus gelebt, paradoxerweise stets auf ihren Charakter als Gnadengabe und damit auf die Abhängigkeit des Menschen von Gott verweist, wie Helmut Thielicke es eindeutig formuliert: „[Es] bleibt […] zu bedenken, daß Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung nicht unser kreatives Werk, sondern die uns zugesprochene Schöpfungsbestimmung sind“ (Mensch sein – Mensch werden. Entwurf einer christlichen Anthropologie. München 1981, 107).

Dieses Verhältnis zeigt sich im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32), denn der Sohn hat in Verkennung der Abhängigkeit vom Vater die Freiheit seiner Sohnschaft nur im negativen Modus gelebt. Er kann schließlich seine Beziehung zum Vater nicht mehr auf seine eigene Sohnes-Würde bauen, denn diese hat er verloren. So bekennt er: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße“ (Lk 15, 21). Er muss hoffen, dass der Vater seinerseits die Beziehung neu aufbaut. Dies tut er, in dem er von sich, von seiner Würde, von seinem Besitz gibt. So antwortet der Vater auf das Bekenntnis des Sohnes: „Holt schnell das beste Gewand, und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand, und zieht ihm Schuhe an“ (Lk 15, 22). Gewand, Ring und Schuhe sind Besitztümer des Vaters, auf die der Sohn eigentlich keinen Anspruch hat; er empfängt sie aus Gnade. Thielicke fasst das eindrücklich zusammen: „Die Ebenbildlichkeit des verlorenen Sohnes beruht nicht auf der Eigenschaft des Sohnes, Sohn geblieben zu sein, sondern auf der des Vaters, Vater geblieben zu sein“ (Theologische Ethik. Tübingen 1972, 294).

Übertragen auf die Heilsgeschichte der gesamten Menschheit besteht dieser Gnadenerweis Gottes in seiner Menschwerdung. Die Würde des Menschen wird dabei durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus nicht nur bestätigt, sondern verstärkt, denn Jesus ist der einzige Mensch schlechthin, der einzige Mensch, der die Menschlichkeit des Ebenbilds erfüllt und sie nicht nur im negativen Sinne lebt, als verfehlte Möglichkeit. Die christliche Philosophie verleiht dem Menschen aufgrund dieser schöpfungstheologischen und soteriologischen Überlegungen eine unveräußerliche dignitas humana. Als Abbild Gottes ist dem Menschen personale, subjektive Würde verliehen. Er muss seine Würde nicht erwerben oder bestätigen, er kann sie gar nicht erwerben oder bestätigen, weil er sie nicht hat, sondern weil er sie in sich trägt und erst dadurch zum Menschen wird.

Das ist der Clou des Begriffs der absoluten Würde des Menschen: dessen Gebundensein an ein absolutes Sein, an Gott, der ihm, dem Menschen, diese unbedingte Würde verleiht, weil er ihn unbedingt liebt.

(Josef Bordat)

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