Rassismus im Fußball

22. Juni 2012


Fußball und Rassismus – irgendwie hat man sich schon daran gewöhnt, dass diese Phänomene in einem Atemzug genannt werden. Die Bundeszentrale für politische Bildung machte diesen Konnex zum Schwerpunkt in ihrem Extremismus-Referat. Derweil wird Mesut Özil im Internet rassistisch beschimpft, während bei der Europameisterschaft vor Ort deutsche Anhänger durch nationalistische Parolen bzw. das Zeigen der Reichskriegsflagge unangenehm auffielen. Innenminister Friedrich findet das „widerwärtig“, es macht ihn „wütend“ und er „schämt“ sich. Man muss ihm parteipolitisch nicht folgen, um sich hier seiner Haltung anschließen zu können.

Schwerpunktmäßig stehen also Fans im Verdacht, den Rassismus in den Fußball zu tragen, Außenstehende also, von denen man sich distanzieren kann. So wie bei der WM 1998, als DFB-Präsident Igidius Braun die kriminellen Angängerscharen, die in Lyon wüteten und einen Polizisten halbtot prügelten, kurzerhalb von dem ausschloss, für das der Verband verantwortlich zeichne: Diese „Elemente“, so Braun, seien nicht „unsere Fans“. Ende der Debatte.

Doch wie sieht es im offiziellen Fußballsport aus, in den Vereinen etwa? Und was passiert in den mächtigen Verbänden wirklich? Klar: Es gibt immer wieder überzeugende Aktionen und klare Botschaften mit dem Bekenntnis zur Rolle des Fußballs als Sport, der Menschen und Völker verbindet. Doch ein etwas genauerer Blick offenbart eine enge Verzahnung des Fußballs mit Formen rassistischer Diskriminierung, von Anfang an. Unter Beteiligung der Politik, der Verbände und der Vereine.

Aus gegebenem Anlass veröffentliche ich an dieser Stelle noch einmal einen Aufsatz, den ich im Vorfeld der WM 2010 mit Blick Richtung Südafrika schrieb. Er enthält abschließend Spekulationen darüber, wie es nach dieser WM mit dem Fußball in Afrika wohl weitergehen würde. Zu beurteilen, was sich davon bewahrheitet hat bzw. künftig noch deutlicher zeigen wird, überlasse ich meinen Leserinnen und Lesern. Nur soviel: Wirtschaftlich hielt sich der FIFA-Effekt in engen Grenzen.

Vergangenheit: Kolonialgeschichte

Der Sport in den deutschen, französischen, belgischen und englischen Kolonien Afrikas hat sowohl bei der ideologischen Stützung imperialer Interessen als auch bei der Vorbereitung und Begleitung konkreter kolonialadministrativer Maßnahmen eine bedeutende Rolle gespielt. Die Vermittlung von „westlichen“ Werten und Lebensformen fand im Sport besonderen Ausdruck. Die entstehenden Vereine übernahmen rasch eine gesellschaftliche Führungsrolle, sorgten einerseits für Integration, andererseits für vertiefte Rassentrennung, abhängig v.a. von der jeweiligen Sportart. Exemplarisch möchte ich die Entwicklung anhand der englischen Kolonie Südafrika beschreiben.

Neben dem Unterhaltungs- und Rekreationswert sowie der zentralen Funktion im Rahmen der Wehrertüchtigung, hatte der Sport bei der Implementierung und Etablierung der Kolonialverwaltung in Südafrika als englischer Kolonie insbesondere in Form von Mannschaftsspielen wie Rugby und Fußball eine besondere Bedeutung, weil er einerseits hinsichtlich der gewünschten Sozialstruktur einer verstärkten rassischen Schichtung zuträglich war und damit eine Förderung der gewünschten Apartheid bedeutete (Rugby als „Weißensport“, Fußball für „Nicht-Weiße“), andererseits durch das strenge Regelwerk und die Spielweise „westliche“ Werte vermittelte, die für das „Teile-und-herrsche“-System bestimmend waren und so eine Erziehung im Sinne „kolonialer Disziplinierung“[1] durch englische Tugenden (Kampfkraft, Härte und Fairness) ebenso beförderte wie die Einsicht in die Notwendigkeit der Einordnung in ein (Mannschafts-)Gefüge. Über die Eignung des Fußballs als Instrument der Disziplinierung legt ein in Uganda tätiger Kolonialbeamter 1903 begeistert Zeugnis ab: „During a recent holiday in Bursoga, I took part in a football match between Iganga and Junja. This is, I suppose, the first real match amongst the natives. The point of interest is that there seems to be a vertain discipline at work for these men to learn to keep their places at football, and some esprit de corps is engendered which is a great thing amongst naturally indigent people. Football may be a means of grace.“[2] Die Maßgabe, seinen Platz auf dem Fußballfeld strikt einzuhalten, ist nur einen kleinen Schritt von der letztlich bezweckten Forderung entfernt, seinen Platz in der Gesellschaft einzuhalten. So wie man nicht aus dem taktischen Konzept des Spiels ausbricht, so revoltiert man nicht gegen das Kolonialsystem. Die kompetitive Teamsportart Fußball vermittelt neben diesem Sinn für Rangordnung aber auch etwas, das „Negern“ abzugehen schien: Sinn für Kameradschaft. So konnte den „faulen“, aber „formbaren“ Untertanen antrainiert werden, was die afrikanische Kultur scheinbar schmerzlich vermissen ließ.[3]

Am Beispiel der Kolonialgeschichte Südafrikas wird besonders deutlich, wie die Engländer durch den Fußball das Ideal der viktorianischen Persönlichkeitsbildung der afrikanischen Seele aufzudrängen versuchten und wie die auf diese Weise erlernte Abhängigkeit zur Stützung imperialer Interessen auf strategischer und zur Vorbereitung und Begleitung kolonial-administrativer Maßnahmen auf operativer Ebene beitrug. Das Vereinswesen bemächtigte sich nach und nach der Sozialstrukturen in der autochtonen Gesellschaft und kontrollierte diese immer mehr. Dabei spielte der Fußball eine herausragende Rolle, der sich rasch organisierte, d.h. quasi parallel zur kolonialen Eroberung und wirtschaftlichen Erschließung und lange bevor sich andere gesellige Vereine bildeten (etwa Bridge-Clubs, Chöre, Schützenbruderschaften usw.). Die Fußballvereine und das sich entwickelnde Verbands- und Wettkampfsystem wurden Träger der okzidentalen Ideologie. Fußball sollte – der völlig anderen kulturellen Tradition, politisch-sozialen Wirklichkeit und klimatischen Rahmenbedingungen in Afrika zum Trotz – genauso betrieben werden wie in England, neben strategischen Überlegungen die Disziplinierung der autochtonen Bevölkerung betreffend auch schon deshalb, um den englischen Kolonisten ein Stück Heimat in der Fremde zu bieten. Ähnliches galt in den deutschen Kolonien auch für die Deutschen, denen das Turnen zu jener ideologischen Transmission mutterländischer Werte und Normen diente, die die Engländer durch „ihren“ Fußball optimal besorgt sahen. Die Pflege der in den Kolonien lebenden und ihren Dienst verrichtenden Landsleute auch und gerade durch den landestypischen Sport war höchste Staatsaufgabe, wie Lord Cranworth 1912 zu bedenken gab: „The first and prime consideration of our Government should be the well-being and prosperity of the British colonist.“[4]

Das erste Fußballspiel auf afrikanischem Boden fand wohl am 26. November 1866 in Natal statt. Es spielten Einheimische gegen Offiziere der englischen Garnison; das Ergebnis ist unbekannt. Allerdings handelte es sich noch nicht um Fußball, wie wir ihn heute kennen. Eine Mannschaft bestand aus 14 Spielern, das Spiel dauerte 30 Minuten und zur Erzielung eines Tores durften alle Körperteile eingesetzt werden.[5]

Der erste Fußballverein wurde 1879 in Pietermaritzburg gegündet („Pietermaritzburg-Country“). Bald darauf folgten weitere Vereinsgründungen („Natal-Wasps“, „Durban-Alpha“, etc.), so dass im Jahre 1892 die Gründung der „Football-Association of South Africa“ möglich war. 1897 war als erste ausländische Mannschaft das Londoner Team der „Corinthians“ zu Gast und 1906 tourte eine südafrikanische Mannschaft auf Einladung des argentinischen Verbandes durch Südamerika – mit Erfolg, denn von 12 Partien wurde 11 gewonnen.[6]

Der Fußball in Südafrika zeigte deutlich, wie eng sozialer Status und die Wahl der Sportart miteinander verknüpft waren. Während sich die Weißen aus der Oberschicht der Kolonialverwaltung Mannschaftsspielen wie Rugby oder Cricket widmeten bzw. Individualsportarten wie Tennis oder Leichtathletik betrieben, war der Fußball der Sport des „kleinen“, d.h. für die Kolonialgesellschaft v.a. des schwarzen Mannes. Das große Talent vieler Schwarzer für das Fußballspiel war eine echte Entdeckung. Einige Spieler versuchten gar, als Profis in England ihr Glück. Bereits 1889 bekam der erste Afrikaner in England einen Profivertrag. Doch „Othello“ Wharton, wie der Profisportler nach literarischem Vorbild genannt wurde, hatte trotz seines sportlichen Talents wenig Glück auf der Insel. Er galt als Kuriosität, diente der Belustigung der Zuschauer, starb schließlich verarmt und wurde schnell vergessen.[7] Und auch wenn die Zeit der Exoten im europäischen Fußball vorbei ist und heute fast jede Profimannschaft Europas Schwarzafrikaner oder deren Nachfahren in den eigene Reihen hat, knüpft die aktuelle Situation im Kontext des dubiosen Geschäfts der Spielervermittlung nahtlos an den Kolonialismus an. Freilich wurden die „Scouting“-Methoden professionalisiert, doch das Streben nach dem Profiglück treibt auch heute viele junge Afrikaner in die Hände fragwürdiger Gestalten, mit dem Ergebnis, dass viele so enden wie „Othello“ Wharton.

Gegenwart: Kontinuitäten

Afrikanische Spieler sind zum Spekulationsobjekt europäischer Vereine geworden. So haben viele europäische Vereine in Afrika eigene Fußballschulen errichtet, die natürlich in erster Linie die Beziehungen der jungen Spieler zum runden Leder optimieren, aber auch eine gewisse Allgemeinbildung garantieren sollen. Eine dieser Schulen befindet sich an der ghanaischen Küste, wo 1903 der erste westafrikanische Fußballverein entstanden war. Sie wird vom niederländischen Erstligisten Feyenoord Rotterdam betrieben. Die Akademie bietet den Schülern ausgewogene Ernährung und auch eine Vorbereitung auf europäische Verhältnisse. So gibt es tagsüber afrikanisches Essen, abends jedoch europäische Gerichte wie Spaghetti oder Pizza – damit die künftigen Profis wissen, wie man zwischen Turin, Madrid und London speist.

Unzählige junge afrikanische Fußballer träumen von einer Profikarriere in Westeuropa – Clubs und Spielervermittler vom schnellen Geld. Für die europäischen Vereine sind afrikanische Spieler als Spekulationsobjekte einem Aktieninvestment vergleichbar, d.h. es kommt einzig auf die finanzielle Performance an. Die Devise lautet: Billig einkaufen, teuer verkaufen. Und da junge Afrikaner sehr billig zu haben sind, werden gigantische Gewinnmargen realisiert. Selbst wenn Nationalverbände wie der Nigerias Mindestablösesummen einführen,[8] sind diese lächerlich gering im Vergleich zu dem, was einige Jahre später auf dem europäischen Transfermarkt erzielt wird.[9] Auch der Betrieb der Schule und weitere „Transaktionskosten“ fallen kaum ins Gewicht.

Die FIFA schaut unterdessen den neokolonialen Umtrieben zu, resigniert vor der Allmacht des freien Marktes. Trotz vorhandenen Problembewusstseins bei FIFA-Präsident Sepp Blatter – „Die [Vereine, J.B.] haben die Rechte an den Spielern. Das könnte man auch Neokolonialismus oder Sklaverei nennen.“[10] –, beruft man sich gerne lapidar auf Nichtzuständigkeit wie, Franz Beckenbauer in der Film-Dokumentation „Sold out – From Street to Stadium“ des austro-britischen Filmemachers John Buche: „Die FIFA kann sich nicht um alle Details kümmern.“[11].

Dennoch: Es tun sich die Abgründe längst überwundener Zeiten auf hinter den Erfolgsstories eines Samuel Kuffour, Anthony Yeboah, Didier Drogba oder Jay-Jay Okocha. „Sold out – From Street to Stadium“ dokumentiert, wie sich die kulturellen Unterschiede zwischen Afrika und Europa im Fußballbusiness auswirken und wie skrupellose Geschäftsleute das zu ihrem Vorteil nützen. Hunderte junger Spieler – großteils Minderjährige – werden alljährlich unter fragwürdigen Umständen nach Europa „transferiert“. Aber nur für wenige werden die Träume wahr. Ihre Agenten und Clubs locken die Spieler mit falschen Versprechungen nach Europa, wo viele in der Illegalität stranden, ohne Aufenthaltsbewilligung und finanzielle Mittel, im Abseits der europäischen Wohlstandsgesellschaft.

Die Verantwortlichen sind zum Handeln aufgefordert, um dem modernen Sklavenmarkt Regularien zu geben, die allen gerecht werden, insbesondere aber den Nachwuchskickern aus Afrika.

Zukunft: Hoffnung

Einerseits kann heute durch und mit dem Fußball der Graben der Apartheid überwunden werden. Die „gemischtrassige“ Nationalmannschaft Südafrikas steht stellvertretend für die Integrationswirkung des Fußballs, der auf seine Weise zur Identifikation „Weißer“ und „Nicht-Weißer“ mit der südafrikanischen Nation beiträgt. Andererseits besteht die neue Gefahr einer „Globalisierung der Apartheid“ in alter kolonialistischer Tradition. Diese Gefahr beschwor Südafrikas Präsident Thabo Mbeki angesichts der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland. Wann, so fragte er, wird sich Europa dazu durchringen, in Afrika nicht länger ein irrelevantes Anhängsel zu sehen, dessen Marginalisierung man in Kauf nimmt.[12]

Die Antwort kam – so scheint es – prompt: Mit der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2010 nach Südafrika wird dem Kontinent die Möglichkeit gegeben, sich vom Image des „Talenterzeugers und -exporteurs“ zu emanzipieren und zu zeigen, dass der Fußball in Afrika nicht nur sportlich, sondern auch strukturell und organisatorisch ein hohes Niveau erreicht hat. Die Fußballweltfamilie muss jedoch ihre Farbenblindheit erst noch unter Beweis stellen. Die bislang „ungleiche Partizipation auf globaler Ebene“[13] könnte zwar nach 2010 der Vergangenheit angehören und damit wirkliche Entwicklungschancen für den afrikanischen Fußball bieten. Es könnte sich bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 aber auch nur um eine Zwischenstation handeln, aus schlechtem Gewissen und Konzessionen heraus geboren und ohne weitere Konsequenzen für den Kontinent und seine Bewohner. Die Entscheidung fällt nicht allein die FIFA mit ihrer undurchsichtigen Verbandspolitik – hier muss insbesondere der Umgang mit afrikanischen Funktionären ein anderer werden, wurden diese in der Vergangenheit doch allzu häufig „systematisch zu Stimmvieh degradiert“[14] –, sondern sie fällt überall dort, wo Afrika die Bühne des Fußballs betritt. Das Verhalten von Offiziellen, Spielern, Medien und Fans gegenüber Spielern und Mannschaften aus Afrika entscheidet maßgeblich mit über die Zukunft des afrikanischen Fußballs.

Anmerkungen:

[1] Wachter, K. (2002): Fußball und (Post-)Kolonialismus in Afrika: Von der Disziplinierung zur Befreiung zur strukturellen Ungleichheit. In: Fanizadeh, M. et al. (Hrsg.): Global Players – Kultur, Ökonomie und Politik des Fußballs. Frankfurt a.M., S. 120.

[2] Zit nach Vasili (2000): Colouring Over the White Line. The History of Black Footballers in Britain. Edinburgh / London, S. 89.

[3] Wachter: A. a. O., S. 120.

[4] Lord Cranworth (Gurdon, B. F.) (1912): A colony in the making of sport and profit in British East-Africa. London, S. 9.

[5] Rummelt, P. (1986): Sport im Kolonialismus – Kolonialismus im Sport. Köln, S. 144.

[6] Rummelt: A. a. O., S. 144 f.

[7] Erdmann, H. / Schwarz, M. (2002): In der Gosse der Bosse. In: Die Tageszeitung v. 28.5.2002, Berlin, S. 19.

[8] Wachter: A. a. O., S. 129.

[9] Nigeria legte eine Mindestablöse von 150.000 US-$ fest; bei innereuropäischen Transfers wird selbst für Durchschnittsprofis leicht das 20- oder 30-fache gezahlt, bei Topstars auch das 200- oder 300-fache.

[10] Zit. nach Erdmann / Schwarz: A. a. O., S. 19. Fraglich bleibt, ob die Kritik Blatters an der „neokolonialitischen“ Personalpolitik führender europäischer Fußballclubs ernst gemeint ist, oder ob es sich bloß um eine Retourkutsche wegen eines Gebührenstreites handelt, der zum Zeitpunkt der Äußerung des FIFA-Präsidenten schwelte (die kritisierten Spitzenvereine hatten von der FIFA eine finanzielle Entschädigung dafür verlangt, dass ihre Top-Kicker bei Fußballweltmeisterschaften antreten).

[11] Ebd.

[12] Zit. nach Wachter: A. a. O., S. 131.

[13] Wachter: A. a. O., S. 127.

[14] Weinreich, J. (2002): „Zum Wohle des Spiels“. Das System Blatter hat in internationalen Verbänden Tradition: Wahlen werden in der dritten Welt gewonnen. In: Berliner Zeitung v. 22.3.2002, Berlin, S. 40.

(Josef Bordat)

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