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Pakistan Taliban töten christlichen Minister

Shahbaz Bhatti fürchtete um sein Leben - nun wurde der einzige Christ in der pakistanischen Regierung von Radikalen auf offener Straße erschossen. Der Minister für religiöse Minderheiten hatte sich gegen das Blasphemiegesetz eingesetzt - Taliban brüsten sich mit dem Mord.
Pakistan: Taliban töten christlichen Minister

Pakistan: Taliban töten christlichen Minister

Foto: FAROOQ NAEEM/ AFP

Er wirkte niedergeschlagen in den letzten Wochen und Tagen. Am vergangenen Freitag sagte Shahbaz Bhatti in einem Hintergrundgespräch mit SPIEGEL ONLINE, er sorge sich um sein Leben. "Wir kämpfen gegen die Unterdrückung von religiösen Minderheiten in Pakistan, aber wir müssen vorsichtig sein. Die Drohungen nehmen zu." Zwischen den Zeilen ließ er durchklingen, dass er den Rückhalt in der eigenen Regierung verliere. "Es wird nicht einfacher", beurteilte er seine Arbeit.

Shahbaz Bhatti, 42, Minister für religiöse Minderheiten in Pakistan, kann den Kampf für den Schutz von Minderheiten gegen Unterdrückung nicht mehr führen: Er, der einzige Christ im Ministerrang in Pakistan, wurde am Mittwochmorgen in der Hauptstadt Islamabad erschossen.

Nach Angaben der Polizei feuerten drei Männer Salven auf sein Auto, als er gerade vom Haus seiner Mutter zum Ministerium aufbrach. Augenzeugen sagten, ein weißer Kleinwagen habe darauf gewartet, dass Bhatti mit seinem schwarzen Toyota starte. Daraufhin habe der Kleinwagen den Weg versperrt, drei Bewaffnete seien ausgestiegen, hätten Bhattis Fahrer aus dem Wagen gezogen und anschließend mehrere Salven auf das Auto gefeuert. Bhattis Nichte Mariam, 22, war als erste am Tatort. Sie sagte, sie habe den Puls ihres Onkels gefühlt, habe aber nichts spüren können. Das pakistanische Fernsehen zeigte Bilder von Bhattis Wagen: Karosserie und Scheibe zerschossen, mindestens acht Kugeln trafen den Minister. Nach Angaben der Polizei hatte Bhatti seine Leibwächter trotz der Sorge um sein Leben angewiesen, im Ministerium auf ihn zu warten. Ein Polizeisprecher hatte zuvor fälschlicherweise behauptet, Bhatti sei in Begleitung eines Polizeiwagens gewesen.

Bhatti wurde in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht. Die Ärzte erklärten ihn bei seiner Ankunft dort für tot. Seine Familie traf wenig später in der Klinik ein, ebenso Pakistans Premierminister Yousuf Raza Gilani und Innenminister Rehman Malik. Präsident Asif Ali Zardari verurteilte den Anschlag.

Attentäter hinterlassen Flugblatt am Tatort

Zu der Tat bekannten sich die pakistanischen Taliban. Nach Angaben der Polizei hinterließen die Attentäter ein Flugblatt, auf dem sie allen "Feinden des Islam" und insbesondere allen, die eine Änderung des Blasphemiegesetzes fordern, mit dem Tod drohten. Mehrere Fernsehsender zeigten das Papier. Bhatti musste also sterben, weil er sich gegen dieses Gesetz ausgesprochen hatte - ein umstrittener Paragraf des pakistanischen Strafgesetzbuches, der die Beleidigung jeder Religion verbietet.

Vergangenes Jahr war eine Christin zum Tode verurteilt worden, weil sie angeblich den Propheten Mohammed beleidigt hatte. Bhatti setzte sich für diese Frau ein und forderte eine Änderung des Gesetzes, weil es in Streitfällen missbraucht werde, um Menschen anzuschwärzen. Islamisten bedrohten ihn, doch Bhatti ließ sich nicht beirren. "Wenn ich für meine Haltung sterben muss, dann ist das eben so", sagte er trotzig.

Doch seine Chancen, das umstrittene Gesetz abzuschaffen, sah er skeptisch: "Eine Abschaffung der entsprechenden Paragrafen des pakistanischen Strafgesetzes, was mir am liebsten wäre, ist politisch nicht durchsetzbar", erklärte er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Nicht durchsetzbar auch in seinen eigenen Reihen, der regierenden Volkspartei PPP. Die hatte bislang noch jeden Politiker, der sich offen gegen das Blasphemiegesetz ausgesprochen hat, fallen lassen. Der früheren Informationsministerin Sherry Rahman, die Vorschläge zur Änderung des Blasphemiegesetzes gemacht hatte, riet man in der eigenen Partei, "besser unterzutauchen". Auch gegen Bhatti wurde intrigiert, es hieß, sein Ministerium solle abgeschafft, seine Aufgaben auf die Provinzen übertragen werden.

Angst vor der Macht der Ultrakonservativen

Offensichtlich knickte die Regierung ein vor der heimlichen Macht der Ultrakonservativen, die offen Stimmung gegen Bhatti machten. Im Juli 2010 hatte Bhatti nach der Ermordung zweier Christen gesagt, diese Männer seien Opfer des Blasphemiegesetzes geworden - da kannten die Geistlichen kein Halten mehr: Sie erklärten, mit dieser Behauptung habe Bhatti sich selbst der Blasphemie schuldig gemacht. Das glich einem öffentlichen Aufruf zu seiner Ermordung.

Erstes prominentes Opfer war im Januar 2011 der Gouverneur der Provinz Punjab. Salman Taseer, ein wenig religiöser Muslim und nach eigenem Bekunden Freund eines "liberalen Lebensstils", hatte sich ebenfalls für die zum Tode verurteilte Christin eingesetzt und für eine Abschaffung des Blasphemiegesetzes. Auch er wurde in Islamabad erschossen, am helllichten Tag, von einem seiner eigenen Leibwächter. Anstatt die Tat zu verurteilen, feierten viele Menschen den Mord an Taseer. Anwälte boten dem Leibwächter kostenlose Verteidigung an, Menschen warfen Rosenblätter, als er dem Haftrichter vorgeführt wurde. Am Tatort, einem kleinen Marktplatz in Islamabad, standen etliche Plakate, die den Mörder priesen.

Das ist auch im Fall Bhatti zu erwarten. Mehrere Parlamentarier sprachen am Mittwoch mit SPIEGEL ONLINE unter der Bedingung, dass sie nicht namentlich genannt werden. Übereinstimmend war ihre Einschätzung: "Ein großer Teil der Bevölkerung wird die Ermordung Bhattis gutheißen."

Das ohnehin von Terror, wirtschaftlichen Problemen und Naturkatastrophen geplagte Land entwickelt sich dramatisch in eine gefährliche Richtung. Die Inflation erreicht zweistellige Prozentzahlen, viele Menschen haben Schwierigkeiten, sich Grundnahrungsmittel zu leisten. In dieser Stimmung versprechen Extremisten den Menschen Heil im Religiösen - und schaffen es mit erschreckender Leichtigkeit, Politik und Gesellschaft mit Gewalt und Drohungen einzuschüchtern.