Sind wirklich alle Christen Nazis?

22. Oktober 2012


Mal was anderes. Nicht der Papst, nicht der Vatikan, nicht die Katholische Kirche sind Gegenstand einer Betrachtung Alan Poseners in der Welt, sondern die Evangelische Kirche in Deutschland. Erst am Ende geht es dann auch um die katholische Einrichtung Pax Christi.

Worum geht es? Schon hier beginnt es, schwierig zu werden. Vorgeblich geht es in dem Text um die polemische Kritik an einer Boykottkampagne gegen Produkte aus Israel, die mit dem Titel Weil Besatzung bitter schmeckt zu „kritischem Konsum“ aufruft, zwischen den Zeilen gelesen jedoch vielmehr darum, einen möglichst engen Zusammenhang zwischen Christsein und Nazisein herzustellen, damit dem neutralen Leser verständlich wird, warum die Christenheit immer auf dem Juden herumhackt, dagegen aber – wie ein Welt-Kommentator weiß – „ungerührt bleibt“, wenn „in Afrika Hunderttausende gepeinigt, geschunden, gemordet werden“.

Tja, warum ist das so? Nun, es war ja nie anders. Posener belegt anhand historischer Quellen eindeutig und glasklar, dass die Kirche – also: die Evangelische Kirche in Deutschland – nie etwas anders wollte als irgendwie gegen Juden sein. Da werden (etwas bemüht, aber was soll’s) aus acht Weimarer Jahren drei Belegstellen zusammengekratzt und so spielerisch arrangiert, dass nun wirklich kein vernünftiger Mensch mehr an der These des Verfassers zweifeln kann: Nazisein gehört zum Christsein wie das Amen in die Kirche. Quod erat demonstrandum. Die Machtergreifung („als 1933 schließlich die Nazis diesem christlichen Drängen Raum verschafften“) wird somit geradewegs zur logischen Konsequenz des Christentums in Deutschland, die NSDAP gleichsam zum politischen Arm der Kirche.

Der neutrale Leser lernt: Von Jesus zu Hitler ist der Weg nicht weit. Christen hingegen wissen das nicht. Zwar wissen sie schon, dass geschlossen gegen Juden sein nicht gut ist, zumindest nicht offen, denn: „so blöd sind die nun auch wieder nicht“. Daher verschleiern sie ihre wahren Absichten, wo sie nur können, nennen „Boykott“ einfach „Kaufverzicht“ und tun so, als sei nichts geschehen. Was die Geschichte angeht, da gibt es bei Christen keine Fakten, wie in der Welt, sondern nur „vage Erinnerungen“. So braucht es eben eine kleine Geschichtsstunde, die den Christen die nötige historische Sensibilität verschafft. Dass diese, also die Geschichtsstunde, ein wenig selektiv ausfällt – Schwamm drüber! Ist ja für den guten Zweck.

Und damit auch nicht die geringste Irritation hinsichtlich des liebgewonnenen Feindbildes aufkommt, man also meinen könnte, die Katholiken seien auch nur einen Deut besser als die Evangelischen, wird auf Pax Christi hingewiesen, den Urheber der ganzen Angelegenheit. Pax klingt schon fast wie Papst – die Sache wird rund. Dass in dem Text schließlich weder die Evangelische Kirche in Deutschland noch Pax Christi zu Wort kommen, ist Ehrensache in der Welt.

Was man immer von der Boykott/Kaufverzichts-Aktion hält – ich halte sie für nicht besonders zielführend, weil ich die Konfliktursachen nicht einseitig in der Politik Israels erkennen kann, auch nicht in der Siedlungspolitik – so muss man doch erwähnen dürfen, was etwa Pax Christi zu den Vorhaltungen sagt, man lehne sich mit der Aktion an Nazigehabe an („Deutsche, kauft nicht bei Juden!“). Es sei, so Manfred Budzinski, Sprecher der Pax Christi-Nahostkommission „unangemessen und inakzeptabel, eine zivilgesellschaftliche Aktion zur Stärkung der Menschenrechte und des Völkerrechts durch NS-Vergleiche diffamieren zu wollen“.

In den Begleitmaterialien zur Aktion hebt die Kommission – alles nachzulesen auf der Homepage von Pax Christi – unmissverständlich hervor: „Es darf in Deutschland niemals wieder einen Boykott geben, der die Menschenwürde mit Füßen tritt. Deshalb ist es gut und richtig, dass Kaufverzichtsaktionen in der Öffentlichkeit mit besonders wachem und kritischem Blick verfolgt werden. Die Erinnerung an den von Gewalt und antisemitischen Hetzparolen begleiteten Boykott jüdischer Unternehmen im Jahr 1933 muss in unserer Gesellschaft immer Mahnung bleiben. Boykottmaßnahmen, die Menschen Unrecht antun, und zivilgesellschaftliche Aktionen, die Menschen Recht verschaffen wollen, sind jedoch zwei unterschiedliche Dinge. Menschen- und völkerrechtswidrigen Umständen seine Unterstützung zu verweigern, ist eine legitime ethische Entscheidung. Wer im Laden vor Waren steht, die möglicherweise aus den völkerrechtswidrigen Siedlungen kommen, ohne dass dies kenntlich wäre, hat die Wahl, diese Produkte zu kaufen oder auf ihren Kauf zu verzichten. Der Verzicht auf den Kauf von Siedlungsprodukten ist für uns eine Form von kritischem Konsum: Es geht uns darum, die individuelle Kaufentscheidung im Einklang mit geltenden Menschen- und Völkerrechtsstandards zu treffen.“

Denn es gehe bei der Aktion insbesondere um die Siedlungspolitik Israels, die für Pax Christi „ein Hindernis für einen gerechten Frieden“ darstellt. Dass diese „völkerrechtswidrig“ ist, hat der Internationale Gerichtshof (IGH) 2004 gutachterlich festgestellt. Daran kommt man nicht vorbei. Zugleich hat das Gericht „jede Beihilfe oder Unterstützung der völkerrechtswidrigen Aspekte israelischer Besatzungspolitik für rechtswidrig erklärt“. Das richtet sich zwar an Völkerrechtssubjekte (also vor allem an Staaten oder Staatenbündnisse) und nicht an den Hausmann am Obststand, aber: „Die Entscheidung für den Verzicht auf Waren aus völkerrechtswidrigen Siedlungen bedeutet, dem Gutachten des IGH auf der Ebene der individuellen Konsumentscheidung Nachdruck zu verleihen.“ Soweit Pax Christi.

Hört sich schon anders an? Gut zu wissen, worum es Pax Christi eigentlich geht? Ja, auch wenn es nicht restlos überzeugt. Worum es in Alan Poseners Welt bei einer Aktion geht, an der Christen beteiligt sind, ist unterdessen wohl offenkundig: Die Aktion zu kritisieren, um die beteiligten Christen zu treffen. Das ist schade. Denn – Achtung! – nicht alle Christen sind Nazis. Einige sorgen sich sogar um die Menschenrechte. Und ums Völkerrecht. Obwohl sie das gar nichts angeht. Jedenfalls nicht alle. Sondern nur wen? Richtig.

(Josef Bordat)

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