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Todesurteil wegen Gotteslästerung: Schweigen im Dorf Ittanwali

Foto: Hasnain Kazim

Pakistan Eine Ziege, ein Streit und ein Todesurteil

Ein Gericht im pakistanischen Punjab hat eine Christin zum Tode verurteilt, weil sie Jesus über Mohammed gestellt haben soll. Tatsächlich jedoch gab es schon vorher Streit zwischen ihr und den muslimischen Nachbarsfrauen - wegen Nichtigkeiten. Ein Besuch im Heimatdorf der Asia Bibi.

Jetzt ist es gekommen, wie sie befürchtet haben, sagt George Masih. Er sitzt auf einem hölzernen Bettgestell im kargen Wohnzimmer. Die blaue Holztür zum Innenhof steht offen, Masih starrt auf den nackten Betonfußboden. Es ist still im Haus der Asia Bibi, obwohl hier viele Menschen leben, Geschwister, Schwager, Tanten, Onkel, Kinder, Nichten und Neffen.

Der Schock sitzt tief, sie reden, wenn überhaupt, im Flüsterton. Nur die Ziege im Innenhof lässt manchmal ein Meckern vernehmen, jenes Tier, mit dem das Unheil begann. George Masih schaut jetzt nach draußen. "Frauen streiten eben manchmal. Warum muss es jetzt so enden?", fragt er.

Ein Gericht hat Asia Bibi, die Ehefrau von George Masihs älterem Bruder Ashiq, Anfang November zum Tode verurteilt. Wegen Blasphemie.

Im Juni 2009 war es zu einem Streit gekommen zwischen der schönen 38-Jährigen und ihren Kolleginnen: Sie sind draußen auf dem Feld, pflücken Falsa, eine süßsaure asiatische Frucht. Asia Bibi, die eigentlich Asia Noreen heißt, Bibi ist nur eine Anrede für eine ältere Frau, geht nach Hause, um Wasser zu holen. Als sie zurückkommt, weigern sich die Frauen, davon zu trinken. Sie solle sich zum Islam bekennen, erst dann könnten sie das Wasser trinken, sticheln sie. Andernfalls sei es "unrein". Asia Bibi soll geantwortet haben: "Wieso sollte ich? Jesus Christus ist für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben. Was hat Mohammed für die Menschen getan?"

Die Frauen geraten in Rage, sie schubsen Asia Bibi, schlagen sie. Sie läuft davon.

Fünf Tage nach dem Streit verlangt eine Gruppe Männer, darunter der Dorfgeistliche Mohammed Salim, dass Asia Bibi zur Strafe auf einem Esel durch den Ort geführt wird. Die Polizei schreitet ein, die Frau steckt man "zu ihrer eigenen Sicherheit" ins Gefängnis, sie landet schließlich in der Vollzugsanstalt von Sheikhupura, der nächsten großen Stadt vor den Toren der Millionenmetropole Lahore. Eineinhalb Jahre verbringt sie in Haft, es kommt zu mehreren Verhandlungen, bis zu jenem Urteil am 8. November.

Streit um einen zerstörten Futtertrog

Ittanwali liegt im Osten Pakistans in der Provinz Punjab. Es gibt in dieser Region viele Dörfer, der Einfachheit halber sind sie numeriert, Ittanwali ist "Dorf Nummer drei". Hier leben bis auf drei christliche Familien ausschließlich Muslime. Es ist ein armes Dorf, ohne Wasser- und Gasnetz, man nutzt eine Handpumpe am Brunnen und heizt und kocht mit Holz oder getrocknetem Kuhdung. Einmal am Tag kommt ein Gemüsehändler mit Pferdewagen.

George Masih zeigt auf die Ziege im Innenhof. "Der Streit hat doch schon viel früher begonnen", sagt er, "nicht erst auf dem Feld." Die Ziege gehöre Asia Bibi, und eines Tages sei das Tier ausgebüchst und habe aus dem Futtertrog des Nachbarn gefressen. "Sie kletterte in diese Holzwanne, die daraufhin auseinanderbrach."

Man hätte einen neuen Trog für vielleicht 1000 Rupien, nicht einmal zehn Euro, kaufen können. Oder man hätte das alte Ding mit ein paar Hammerschlägen reparieren können. Aber zwischen der Frau des Nachbarn und Asia Bibi entbrannte ein Streit. "Sie hat meine Frau angeschrien und mit übelsten Worten beschimpft", beschwert sich Mohammed Tufail, ein relativ wohlhabender Landbesitzer. Auch andere Dorfbewohner sagen, Asia Bibi habe ein "ziemlich loses Mundwerk".

Vorwand für Bösartigkeiten?

Aber ist das Grund genug, einem Menschen den Tod zu wünschen?

Die Frauen hocken am anderen Ende des Dorfes, sie haben sich zum Tee getroffen. Es sind die, die das Wasser von Asia Bibi nicht trinken wollten. Sie wirken nicht wie Fanatikerinnen, tragen keine Burka, nicht einmal Kopftuch. Als der Vorfall zur Sprache kommt, verstummen sie. Hat Asia Bibi wirklich Jesus über Mohammed gestellt? "Dazu ist alles gesagt", erklärt eine der Frauen mit gesenktem Blick. Habt ihr sie nicht vorher geärgert, sie immer wieder zum Islam zu bekehren versucht? Schweigen.

Richter Naveed Iqbal, der Asia Bibi verurteilt hat, ist kaum gesprächiger. "Es gab keine mildernden Umstände", sagt er. "Asia Bibi wurde nicht zu Unrecht verurteilt!" Woher nimmt er diese Gewissheit? "Es gab sehr viele Zeugen." Meint er die Frauen aus Ittanwali? Hatten die nicht ihre eigenen Gründe, ihre Nachbarin anzuklagen? Wieder: Schweigen.

Angst vor den radikalen Mullahs

Auch Mohammed Salim, 30, der sunnitische Dorfmullah, der laut Polizei mit vielen Worten Druck gemacht haben soll, Asia Bibi anzuklagen, ist plötzlich ganz schweigsam. Er wirkt wie jemand, der sich noch beweisen muss als Geistlicher. Es überrascht ihn, dass der Fall weltweit für Empörung sorgt. "Was die Zeitungen über Asia Bibi schreiben, stimmt!", behauptet er. Damit ist für ihn das Gespräch beendet.

Dabei haben die Zeitungen lange gar nichts geschrieben, nicht über die Festnahme, nicht über den Prozess und auch über den Richterspruch nicht. Erst als der britische "Telegraph" und SPIEGEL ONLINE über das Todesurteil berichteten, erst nachdem die Bundesregierung ihren Menschenrechtsbeauftragten die pakistanische Regierung auffordern ließ, den Straftatbestand der Blasphemie abzuschaffen und "dafür Sorge zu tragen, dass in Pakistan Menschen aller Glaubensrichtungen friedlich ihren Glauben leben können", erst da nahmen pakistanischen Zeitungen die Geschichte auf. Zu diesem Zeitpunkt waren schon tausende Protest-E-Mails aus aller Welt bei der pakistanischen Regierung eingegangen.

Bis heute war kein einziger pakistanischer Reporter bei Asia Bibis Familie in Ittanwali. Auch Vertreter der christlichen Vereine haben sich nicht dorthin getraut. "Sie haben Angst vor einem Mob", sagt Nazir Bhatti, christlicher Aktivist im amerikanischen Philadelphia. "Dabei hat die große Mehrheit der Pakistaner nichts gegen Christen." Bhatti steht außer Verdacht, die Lage beschönigen zu wollen, vor zwölf Jahren musste er aus Pakistan fliehen, weil mächtige Politiker ihn hinter Gitter bringen und damit mundtot machen wollten. "Leider hat eine kleine Gruppe von Mullahs Politik und Gesellschaft fest im Griff. Sie schafft es, dass die Mehrheit Angst hat vor Gewalt und Terror. Deshalb traut sich niemand, das Blasphemiegesetz abzuschaffen." Niemand wage es, eine Initiative dagegen zu starten. Religiöse Parteien halten das Gesetz für unantastbar und drohen im Falle einer Abschaffung mit Protesten.

Todesstrafe für Prophetenbeleidigung zwangsläufig

Eingeführt worden war das Blasphemiegesetz vom Militärdiktator Zia ul-Haq, der zwischen 1977 und 1988 regierte und dessen Islamisierungspolitik bis heute wirkt. Paragraph 295-C des Strafgesetzbuches verbietet die Beleidigung des Propheten Mohammed und sieht bei Zuwiderhandeln zwangsläufig die Todesstrafe vor.

Parlamentarier sagen, sie glaubten, eine Mehrheit sei gegen dieses Gesetz. Aber warum stimmen sie dann nicht einfach dagegen? "Weil wir dem Land noch mehr Terror ersparen wollen", sagt einer. "Diejenigen, die sich als Wortführer gegen das Blasphemiegesetz hervortun, stehen sofort auf der Abschussliste der Islamisten."

Präsident Asif Ali Zardari hätte Asia Bibi begnadigen oder wenigstens Stellung beziehen können. Aber er schweigt. Und der Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti, selbst ein Katholik, sagt auch nicht viel. Er verspricht nur, Regelungen zu schaffen, "die den Missbrauch des Blasphemiegesetzes eindämmen". Abschaffen könne man das Gesetz in der jetzigen politischen Lage nicht. Man werde aber dafür sorgen, dass Asia Bibi juristische Hilfe für die nächste Instanz bekomme. Ansonsten dürfe die Politik sich nicht einmischen in ein juristisches Verfahren.

Minister Bhatti ist vorsichtig, weil er weiß, dass Terroristen es auf ihn abgesehen haben. Selbst in der eigenen Regierung hat er wenig Rückhalt: Drei Tage nach dem Todesurteil gegen Asia Bibi wird bekannt, dass sein Ministerium abgeschafft werden soll.

Die Regierung mahnt Journalisten im Fall Asia Bibi zur Zurückhaltung, auch aus Angst vor Ausschreitungen und Protestaktionen. Drei Beispiele aus der Vergangenheit:

  • Im Februar 1997 kam es in Shantinagar zu einem Aufstand von rund 30.000 Menschen, weil dort lebende Christen angeblich einen Koran beschmutzt hatten. Etwa 200 Häuser wurden angezündet.
  • 1998 erschoss sich der pakistanische Bischof John Joseph aus Protest gegen die Unterdrückung von Christen.
  • 2009 brannte ein Mob 40 Häuser von Christen und eine Kirche in der Stadt Gojra, nicht weit von Ittanwali, ab - damals starben acht Menschen in den Flammen.

Doch der Wunsch, ähnliche Vorfälle zu vermeiden, ist es nicht allein, was die Regierung treibt. Man sorgt sich auch um den Ruf Pakistans. Gerade jetzt, wo das Land nach der schlimmen Flutkatastrophe am Boden liegt und so sehr auf ausländische Hilfe angewiesen ist. Gerade jetzt, wo die EU über Handelserleichterungen nachdenkt.

Päpstliche Intervention für die zum Tode Verurteilte

Die Wut der Mehrheit entlädt sich regelmäßig gegen Christen, Hindus, Sikhs und islamische Minderheitsgruppen. Dabei hatte Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah damals, als der Subkontinent 1947 nach dem Abzug der britischen Kolonialmacht in Indien und Pakistan geteilt wurde, ganz anderes im Sinn: Er wollte einen säkularen Staat, Heimat zwar für die unterdrückten Muslime, in dem aber jeder Mensch unabhängig von seinem Glauben und seiner Herkunft mit gleichen Rechten und Pflichten leben durfte.

Diese Vision ist gescheitert. Asia Bibis Schicksal ist kein Einzelfall, den man bedauern und abhaken könnte, sondern der jüngste Höhepunkt einer tragischen Gesamtentwicklung. Erstmals ist nun eine Frau, eine Katholikin, wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilt worden. Selbst der Papst hat sich jetzt eingeschaltet, spät, aber nicht zu spät. "Ich bin bei Asia Bibi und ihrer Familie und fordere, dass sie schnellstens freigelassen wird", sagte Benedikt XVI. bei seiner Generalaudienz in Rom am Mittwoch.

Asia Bibi und ihr Mann haben von der päpstlichen Intervention nichts mitbekommen. "Er hat sich wirklich für uns eingesetzt?", fragt Ashiq Masih. Er sei mit den Nerven am Ende, sagt er, obwohl sie einen Anwalt hätten - eine reiche christliche Familie aus Faisalabad würde für die Kosten aufkommen - und obwohl er inzwischen erfahren habe, dass in Pakistan noch nie jemand wegen Blasphemie hingerichtet worden sei. "Viele Leute versichern mir, Asia werde in der nächsten Instanz frei kommen." Wenn nicht, sei da ja noch der Oberste Gerichtshof, spätestens da würde alles ein gutes Ende nehmen.

Asia Bibis Schwester Najma und ihr Schwager George haben trotzdem Angst. "Wir hatten ja schon jetzt auf einen Freispruch gehofft", sagt Najma. Sie seien nach Sheikhupura zur Urteilsverkündung gefahren, aber man habe sie nicht in den Gerichtssaal gelassen. "Weil wir keine Personalausweise haben", sagt sie. "Wir sind eben arme Leute, wir hatten noch nie irgendwelche Papiere."