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  4. Christenverfolgung: In Deutschland werden christliche Asylsuchende von Extremisten verfolgt

Deutschland Flüchtlinge

Christen spüren auch in Deutschland den Hass

Asylbewerber in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im bayerischen Zirndorf Asylbewerber in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im bayerischen Zirndorf
Asylbewerber in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im bayerischen Zirndorf
Quelle: pa/dpa
Mit den Flüchtlingen kommen auch die Konflikte ihrer Herkunftsländer nach Deutschland. Asylsuchende Christen aus der arabischen Welt sind auch in Deutschland Attacken radikaler Moslems ausgesetzt.

Im Irak sind derzeit 30.000 Christen auf der Flucht. Doch das sind nur jene, die es derzeit in die Hauptnachrichten schaffen. Weltweit leiden nach Schätzung der Menschenrechtsorganisaiton Open Doors an die 100 Millionen Christen unter Verfolgung. Der Weltverfolgungsindex 2014 der Organisation weist vor allem streng islamische Länder wie Somalia, Syrien, den Irak, Jemen, den Iran, Saudi-Arabien und Pakistan unter den zehn Staaten mit der schlimmsten Christenverfolgung aus.

Für viele endet diese Verfolgung auch dann nicht, wenn sie als Asylbewerber in Deutschland ankommen. Denn mit den Verfolgten finden auch Extremisten den Weg nach Europa, nach Deutschland – manchmal sogar in die gleiche Asylunterkunft.

So war es zum Beispiel bei Leyla S.* Ihr christlicher Glaube zwang die Mittdreißigerin im Iran zu einem gefährlichen Versteckspiel. Schlimm genug, dass ihre schiitische Familie davon wusste und sich distanzierte. Vor den übrigen Menschen in dem streng muslimischen Staat verbarg sie ihren Makel und floh mithilfe von Schleppern vor mehr als drei Jahren nach Deutschland.

Die Gemeinschaftsküche war für die Christin tabu

Doch in dem hessischen Flüchtlingsheim, in dem die junge Frau mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter unterkam, ging die Ausgrenzung weiter. Etwa 20 der rund hundert weiteren Flüchtlinge beschimpften die Familie von Anfang an immer wieder als „Ungläubige“ und „schmutzige Hunde“ und verboten Leyla S. in den beiden Küchen des Heimes zu kochen.

„Ich musste unser Essen über zwei Jahre fast immer in unserem Zimmer zubereiten“, sagt sie. Sobald sie in die Küche gekommen sei, wurde sie von muslimischen Flüchtlingen herausgedrängt, immer mit dem Verweis, sie sei unrein und mache die Lebensmittel der muslimischen Asylbewerber aus Afghanistan „unrein“. Leyla sagt: „Warum sind diese Leute dann in Deutschland, wenn die Christen unrein sind? Das Geld der Deutschen ist wohl rein?“

Offizielle Fallzahlen gibt es über Pressionen, denen geflüchtete Christen hierzulande ausgesetzt sind, nicht. Eine Anfrage der „Welt“ bei den Bundesländern mit den höchsten Aufnahmequoten für Asylbewerber – Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen – ergab die gleichlautende Antwort: „Keine Vorkommnisse“.

Was sich in deutschen Asylunterkünften unterhalb der polizeilichen Wahrnehmungsschwelle, aus Scham verschwiegen oder verdeckt auch als Konflikt zwischen Ethnien missdeutet abspielt, findet bislang keinen Eingang in behördliche Statistiken. Für Praktiker dagegen ist die Ausgrenzung von Christen im deutschen Asylwesen bis hin zu tätlichen Übergriffen sehr wohl eine Tatsache.

Opfer der Christenfeinde sind meist Konvertiten

Max Klingberg von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGfM), seit 14 Jahren in der Flüchtlingsbetreuung aktiv, nennt solche Übergriffe „kein Massenphänomen, aber auch keine Seltenheit“. Der „Welt“ sagt er: „Bei christlichen Konvertiten geht die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Übergriffen oder Mobbing zu werden, gegen 100 Prozent.“ Dies gelte natürlich nur, wenn die Konvertiten ihren christlichen Glauben auch öffentlich machten, was viele allerdings unterließen.

Wie viele christliche Flüchtlinge in Deutschland insgesamt von Übergriffen betroffen sind, kann auch Klingberg nicht beziffern. Seiner Betreuungserfahrung nach seien die Opfer aber in den meisten Fällen ehemalige Muslime, die den christlichen Glauben angenommen hätten. Die Täter seien häufig islamistische Flüchtlinge aus Afghanistan. So schildert Klingberg das Schicksal einer iranischen Konvertitin in Nordrhein-Westfalen, die von afghanischen Männern im Flüchtlingsheim beschimpft und bedroht worden sei.

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Im vergangenen Jahr hätten die Männer die Wäsche der Frau auf den Fluren des Heims verstreut, seien auf der Kleidung herumgetrampelt und hätten darauf uriniert. Mittlerweile sei ihr Asylantrag aber bewilligt, sie habe in eine eigene Wohnung ziehen können, und bleibe nun von weiteren Übergriffen verschont.

Getrennte Unterbringung nach Religionen gefordert

Jüngst bekannt gewordene Fälle von Ausfällen gegen christliche Asylbewerber in Bayern haben den Integrationsbeauftragten der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer (CSU), veranlasst, eine nach Religionen getrennte Unterbringung zu fordern. So waren Mitte Juli nach religiösen Spannungen in einer Eilaktion von der Regierung Niederbayerns eine ganze Reihe von Asylbewerbern umverteilt worden.

„Die von mir geforderte getrennte Unterbringung von Flüchtlingen nach Religionszugehörigkeit aus Ländern wie Syrien und dem Irak, aber auch Tschetschenien und Afghanistan mag organisatorisch nur schwer zu bewerkstelligen sein“, sagte Neumeyer zur „Welt“. Da bei uns Religionsfreiheit herrsche, stieße so eine Trennung möglicherweise auf Vorbehalte. „Ich möchte aber mit dieser Forderung auch die Mitarbeiter der Asylsozialberatung und die zahlreichen freiwilligen Helfer in dem Bereich sensibilisieren, auf entsprechende Vorfälle entschieden zu reagieren“, so Neumeyer weiter.

Eine Erklärung über fehlende Fallstatistiken von Gewalt gegen Christen unter Asylsuchenden hat Neumeyer auch. „Es dürfte im Einzelfall sehr schwer sein, solche Formen von Mobbing Andersgläubiger zu beweisen, da das sicher mitunter sehr subtil geschieht.“ Und natürlich sei das auch eine Frage der Wahrnehmung. „Wer im Herkunftsland religiöse Verfolgung selbst erlebt hat, wird auf so etwas mit höherer Empfindsamkeit reagieren als es von unsereinem wahrgenommen wird“, vermutet der bayerische Integrationsbeauftragte.

„Keine signifikante Steigerung“ von religiösen Konflikten

„Konflikte mit religiösem Hintergrund gibt es, aber eher zwischen Muslimen und vom Islam zum Christentum konvertierten Asylsuchenden“ bestätigt auch Lisa Scholz, Referentin für Migration und Asyl beim Diakonischen Werk Bayern im Gespräch mit der „Welt“. Dabei gehe es dann vor allem um Afghanen und Iraker.

Eine Umfrage unter den 75 Asylsozialberatern des diakonischen Werks Bayern ergab allerdings „keine signifikante Steigerung bei Konflikten zwischen christlichen und muslimischen Asylbewerbern in bayerischen Unterkünften“, berichtet die Migrationsreferentin. Bei insgesamt 30.000 Asylbewerbern in Bayern sei das schon bemerkenswert, meint sie.

Wie beim Diakonischen Werk in Bayern wird auch bei der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V. (BAfF) das Ausmaß religiöser Konflikte unter Asylsuchenden als nicht signifikant eingeschätzt. „Eine solche Verfolgung ist uns als Dachverband der 30 bundesweiten Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer nicht bekannt“, sagt Silvia Schriefers, Diplompsychologin und Projektleiterin bei der BAfF.

Nicht Separierung sondern Heilung ermöglichen

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Spannungen und gewalttätige Auseinandersetzungen sei eher den defizitären Lebensbedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen, der Traumatisierung der Menschen und leidvollen familiären Verhältnissen geschuldet.

„Kriminelle Handlungen und Übergriffe sollen und müssen geahndet werden“, so die BAfF-Projektleiterin. „Einer weitergehenden Isolierung oder Separierung von einzelnen Flüchtlingsgruppen, wie dies beispielsweise von dem stellvertretenden Bundestagspräsidenten Johannes Singhammer vorgeschlagen wurde, ist aus Sicht der BAfF unbedingt entgegenzuwirken“, widerspricht die Diplompsychologin damit auch dem Vorschlag des bayerischen Integrationsbeauftragten.

Eine getrennte Unterbringung von Asylsuchenden würde bedeuten, der Störung zu folgen, also Ängste und Vermeidungstendenzen zu reproduzieren, sowohl auf psychischer wie auch auf gesellschaftlicher Ebene. „Die Aufgabe der Gesellschaft sollte es vielmehr sein, Heilung oder Bewältigung der traumatischen Erfahrung zu ermöglichen“, so Schriefers.

TV-Fernbedienung in die Niere gerammt

Kurzfristig stellt sich für Betroffene freilich vor einer „Heilung und Bewältigung traumatischer Erfahrung“ das Problem einer zweiten Flucht nach der ersten aus dem Herkunftsland im Vordergrund.

Das zeigt der Fall des christlichen Afghanen Ramin*, der seit einem Jahr in einem hessischen Flüchtlingsheim untergebracht ist und aus gutem Grund seinen Aufenthaltsort nicht in den Medien lesen will. Seit seiner Ankunft werde er in seiner Unterkunft von drei Landsleuten bedroht, sagt Ramin.

Immer wieder bekomme er gesagt, er gehöre „zum Haus des Krieges und nicht zum Haus des Islam“, er sei eine „Verfluchter, der den Tod verdient habe“. Einmal hätten sie ihm eine TV-Fernbedienung in die Niere gerammt, woraufhin Ramin einen der drei Angreifer weggestoßen habe. Der sei wutentbrannt in die Küche gerannt und habe ein Messer geholt.

„Ich habe ihn im Flur mit dem Messer ankommen sehen, da habe ich meine Tür zugezogen, aber einer der beiden anderen hatte schon den Fuß in der Tür“, sagt Ramin. Er habe gezittert und gerufen „Jesus Christus ist Friede!“ Daraufhin habe der Angreifer ihm die Klinge auf die Brust gesetzt und gesagt, es sei unmöglich für ihn, Ramin am Leben zu lassen.

Er sei nur davongekommen, weil die beiden anderen muslimischen Fanatiker dem Angreifer gesagt hätten, er solle seine Rache aufschieben, bis sein Asylverfahren abgeschlossen sei.

Streitigkeiten hätten zwischenmenschliche Gründe

Mithilfe einer iranischen Christin versuchte er, der gemeinsamen Unterbringung mit seinen Peinigern durch einen Antrag auf Verlegung bei der Stadt und beim Regierungspräsidium zu entkommen. Das wurde abgelehnt. Für die Behörden „stellte sich der Fall so dar, dass die Streitigkeiten rein zwischenmenschliche und keine religiösen Hintergründe hatten“, hieß es auf Anfrage der „Welt“. Aus Angst schlafe der 19-Jährige nun fast immer bei bereits anerkannten afghanischen Asylbewerbern in einer 50 Kilometer entfernten Stadt, sagt er.

Das ist kein Einzelfall, ist auch vom Zentralrat orientalischer Christen in Deutschland zu hören. Auch dort werden solche Fälle gesammelt, für eine statistische Aussage aber fehlt die Datenbasis und für ein allgemeines Problembewusstsein über die Lage christlicher Asylbewerber in Deutschland möglicherweise sogar die gesellschaftliche Sensibilität.

Schlechtes gesellschaftliches Klima für christliche Flüchtlinge?

Für Ulrich Weyel, Leiter einer gemeinnützigen Sprachschule für Asylbewerber im Auftrag der Freien evangelischen Gemeinde Gießen, ist die Lage asylsuchender Christen in Deutschland eine Frage des gesamtgesellschaftlichen Klimas. „Nach meiner Erfahrung herrscht in Teilen der Öffentlichkeit gegenüber dem Auftritt bekennender hilfsbereiter Christen eine weit größere kritische Sensibilität als gegenüber dem mitunter aggressiven Auftritt von Koran-Gläubigen“, sagt der erfahrene Asylhelfer Weyel zur „Welt“. Das erlebe er leider auch manchmal von Vertretern der Kirchen.

„Bei meiner Arbeit als Sprachlehrer und Leiter einer Sprachschule für Asylbewerber in der Erstaufnahme, habe ich die Beobachtung gemacht, dass es Flüchtlinge, die als Christen zum Beispiel in Syrien oder im Iran verfolgt wurden, sehr irritiert, mit welchen Vorbehalten hierzulande dem Christentum in Wort und Tat begegnet wird, wo sie doch Verständnis und Hilfe erwartet hätten.“

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