Dein Franziskus, mein Franziskus

15. November 2013


Der Papst ist für uns alle da!

Als Vorsitzende des Berliner Domkirchenkollegiums hatte Frau Irmgard Schwaetzer verhindert, dass der Ökumenische Abschlussgottesdienst der Aktion „Marsch für das Leben“ im Berliner Dom stattfindet. Am Ende war das kein Problem: Auch im Lustgarten kann es sehr schön sein, wenn das Wetter mitspielt. Nun, da Frau Schwaetzer als EKD-Präses an der Spitze des evangelischen Kirchenparlaments steht, hakte das Domradio nach und ergründete ihre Haltung zum Lebensschutz. Frau Schwaetzer bezog sich in ihrer Antwort auf Papst Franziskus: „Sich nicht mit den Initiatoren des Marschs für das Leben auf eine Stufe zu stellen, bedeutet nicht, dass man nicht hoch engagiert für den Erhalt des Lebens und für den Lebensschutz kämpft, aber auf eine andere Art. Ich halte es da wirklich mit Papst Franziskus, der ja an dem Tag vorher in Rom noch darum gebeten hat, Barmherzigkeit zu zeigen, auch für die Frauen, die in einer schweren Notlage sich für eine Abtreibung entscheiden. Mit dieser Haltung kann ich mich sehr gut identifizieren.“

Ganz abgesehen davon, dass die Ablehnung der Sünde bei gleichzeitiger Barmherzigkeit mit der Sünderin resp. dem Sünder (und umgekehrt) ohnehin zu den Grundpostulaten christlicher Ethik gehört, die Bezugnahme auf Papst Franziskus also nicht verfängt, soweit es um christliche Lebensschutzethik geht, ganz abgesehen davon, dass die Formulierung „auf eine Stufe zu stellen“ einen Niveauunterschied suggeriert, durch den die „andere Art“ des Engagements beim Empfänger der Botschaft als „bessere Art“ wahrgenommen werden soll, und mal ganz abgesehen davon, dass ich gerne wüsste, auf welche „andere Art“ man sich besser für den Lebensschutz einsetzen kann, als auf die einfache, aber wirkungsvolle Art des „Marsch für das Leben“, im Zentrum der Hauptstadt für die Würde und das Recht jedes Menschen auf die Straße zu gehen, hat sich der zitierte Papst Franziskus ausdrücklich mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eben dieses „Marsch für das Leben“ solidarisiert, indem er verkünden ließ: „Gerne verbindet sich Seine Heiligkeit mit den Teilnehmern am Marsch für das Leben im Gebet und bittet Gott, alle Bemühungen zur Förderung des uneingeschränkten Schutzes des menschlichen Lebens in allen seinen Phasen mit seinem Segen zu begleiten.“

Welchen Franziskus hätten Sie gerne? Wie gesagt: Zwischen dem Anliegen des „Marsch für das Leben“ und der Barmherzigkeit gegenüber einer Frau, die sich „in einer schweren Notlage für eine Abtreibung“ entscheidet, passt kein Blatt Papier. Mit am lautesten und längsten war beim „Marsch für das Leben“ der Applaus für jene mutige Dame, die bei der Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt über eine Abtreibung sprach, die sie in jungen Jahren hatte vornehmen lassen, was ihr heute sehr Leid tue. Diese Frau wird mit offenen Armen aufgenommen, auch wenn der „Marsch für das Leben“ u. a. gegen die Abtreibung stattfindet, weil seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer Abtreibung keine gute Option im Umgang mit dem menschlichen Leben sehen. Und insoweit dürfen sie, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am „Marsch für das Leben“, Papst Franziskus gleich zweimal an ihrer Seite sehen: in der ablehnenden Haltung gegenüber Abtreibungen, die sich stringent aus den „Bemühungen zur Förderung des uneingeschränkten Schutzes des menschlichen Lebens“ ergibt und in der barmherzigen Haltung gegenüber einer Frau, die abgetrieben hat, welche der Papst ebenso einfordert. Wer Franziskus jedoch selektiv hört und liest, sollte mit einer exklusiven Inanspruchnahme des Papstes für seine Position vorsichtig sein, denn: Der Papst ist für uns alle da!

(Josef Bordat)

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