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| Berlinale: Warum das Kino bedrückt und bezaubert18. Februar 2014 in Kommentar, 12 Lesermeinungen Vielfalt von Filmen: Vom Porno mit vorgetäuschtem Tiefgang bis zur primitiven Religionskritik in Kreuzweg. Verwunderlich, dass ausgerechnet Kreuzweg den Preis der Ökumenischen Jury erhielt. Von Karsten Huhn (idea) Berlin (kath.net/idea) 400 Filme aus 70 Ländern Kino, bis die Augen brennen! Das war die Berlinale vom 6. bis 16. Februar. Das größte Publikumsfilmfestival der Welt kann Christen zeigen, wie Künstler heute die Welt sehen und welchen Stellenwert Religion hat. idea-Reporter Karsten Huhn war beim größten Kulturereignis in Europa in diesem Jahr mitten in Berlin dabei. Hier sein Bericht. Wer heute Zeichen und Wunder erleben will, muss ins Kino gehen. Dort werden die großen alten Menschheitsfragen nach Liebe und Tod in immer neue Geschichten gekleidet. So kann man auf der Berlinale auf Mördersuche in einer chinesischen Kleinstadt gehen, den tschetschenischen Jungen Ramasan in einem Flüchtlingslager am Wiener Stadtrand begleiten, mit der Bundeswehr den Afghanistan-Einsatz bestehen, die Liebesaffären des Dichters Friedrich Schiller oder den Bürgerkrieg in Nordirland miterleben, mit George Clooney in The Monuments Men das von den Nationalsozialisten geraubte Beutegut zurückholen, einen schweigsamen norwegischen Schneepflugfahrer begleiten oder sich von der Märchenwelt von Die Schöne und das Biest gefangen nehmen lassen. Dass das Kino dabei ein heimlicher Verwandter des christlichen Glaubens ist, macht eine Installation am Kino Cubix, eine von 24 Berlinale-Spielstätten, am Alexanderplatz deutlich: ich glaube / was / ich sehe / was / ich glaube, steht dort in wechselnder Folge an der Fassade. Der Satz erinnert an den zweifelnden Thomas (Johannes 20,2429), der Jesu Wundmale selbst in Augenschein nehmen muss, um glauben zu können. Interessanterweise lässt sich der Satz am Kino Cubix aber auch mit anderen Augen lesen: Ich sehe / was / ich glaube, heißt es dann und bedeutet: Wer ins Kino geht, muss immer einen Vertrauensvorschuss mitbringen, er muss bereit sein, sich auf eine Geschichte einzulassen, muss ihr also Glauben schenken. Im besten Fall kann man so im Kino eine ganze Welt gewinnen. Man lernt Menschen und Länder kennen, macht Schicksalsbekanntschaften, kann mitleiden und sich mitfreuen. Im schlechtesten Fall nimmt man im Kino Schaden an seiner Seele, weil die gezeigte Gewalt und Ungerechtigkeit und allein die schiere Zahl an Filmen einen übermannen. Um 8.30 Uhr beginnen auf der Berlinale die ersten Filme, ab 23 Uhr laufen die letzten. Hartgesottene Kinogänger kommen so in zehn Tagen auf bis zu 40 Filme! Das schlüpfrigste Filmfest aller Zeiten Vor allem aber muss man bei der Berlinale mit Sex bei fast jeder Gelegenheit rechnen. Als das schlüpfrigste Filmfest aller Zeiten, bezeichnete der Berliner Tagesspiegel die diesjährige Berlinale; und die Berliner Zeitung kam zu dem drastischen Urteil: Auch in diesem Jahr hat sich die Berlinale ja schwerpunktmäßig dem Thema Geschlechtsverkehr gewidmet; es wurde in allen nur denkbaren Konstellationen und an allen möglichen und unmöglichen Orten getrieben. Tatsächlich wirkt die Berlinale teilweise wie ein Sexfestspiel. Ein Film handelt von den ungewöhnlichen Praktiken einer Sextherapeutin, ein anderer vom Leben einer Edelprostituierten, der nächste zeigt den Alltag von Pornodarstellern, ein anderer taucht ein in die philippinische Transgender-Szene, ein weiterer bringt die Liebesgeschichte eines Strichers und einer Prostituierten, und der Dokumentarfilm Vulva 3.0 zeigt Intimchirurgie in Großaufnahme. Ein einfacher Geschlechtsverkehr reicht heute nicht mehr, um zu schocken: Im Film Lost wird deshalb die glitschige Geburt eines Ferkels gezeigt. Schnitt. Die nächste Szene zeigt die Schweinezüchterin beim Sex. Wer von solchen Bildern unbehelligt bleiben will, dem bleibt bei der Berlinale eigentlich nur noch der Besuch des Kinderprogramms. Die zentrale Sünde unserer Zeit: Sexsucht Am meisten diskutiert wurde der 145 Minuten lange Film Nymphomaniac Volume I des dänischen Regisseurs Lars von Trier. Er erzählt die Geschichte der sexsüchtigen Jugendlichen Joe, die mit ihrer besten Freundin darum wettet, wer von beiden mehr Sex mit fremden Männern auf Zugtoiletten, Kneipen, Büros haben kann. Es ist ein Porno mit vorgetäuschtem Tiefgang. Der Film bildet den dritten Teil von Triers Depressions-Trilogie; die ersten beiden Teile hießen Antichrist und Melancholia. Inszeniert ist der Film als Beichte: Die blutüberströmte Joe wird aufgenommen vom jüdischen Junggesellen Seligman und erzählt ihm von ihrer unstillbaren Sehnsucht nach Sex. Seligman erklärt ihr Johann Sebastian Bachs Orgelstück: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ. Es ist ein verstörender, zutiefst deprimierender Film ein Gleichnis für die todtraurige Moderne. Der Tagesspiegel warnte deshalb: Gehen Sie nicht zur Berlinale! Wer vorher ein lebensfroher Mensch war, kommt sicher suizidgefährdet wieder hinaus. Die Wochenzeitung Die Zeit erkennt in Nymphomaniac einen Exorzismus, die rituelle Austreibung des leeren Sex durch seine pornografische Wiederholung, Stunde um Stunde, so lange, bis sich der Zuschauer ergibt und die fahlen, zuckenden Körper nicht mehr sehen kann. Und die Tageszeitung Die Welt urteilt: Dass Unkeuschheit die zentrale Sünde unserer Zeit ist, würde der Erzkatholik aus Dänemark unterschreiben. Wenn damit gemeint ist, dass wir, dass sich die westliche Menschengemeinschaft von ihrem Wesenskern entfernt hat. Den Himmel leer gefegt und die Herzen und alles, was uns mal mit einem Gott verbunden hat, getötet hat. Eine primitive Religionskritik: Der Film Kreuzweg Eine extreme Form der Gottessuche zeigte der deutsche Film Kreuzweg. Er zeigt in 14 Kreuzwegstationen von Jesus wird zum Tode verurteilt bis Der heilige Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt das Leben des 14-jährigen Mädchens Maria, die der ultrakonservativen Paulus-Bruderschaft angehört (bei der Bezeichnung drängt sich die Verbindung zur umstrittenen katholischen Pius-Bruderschaft auf). Der junge Priester, der Maria Firmunterricht erteilt, wirkt sympathisch, vertritt aber eine krude Theologie. Die Jugendlichen fordert er auf, Soldaten Jesu Christi zu sein, die sich in der Schlacht gegen den Satan bewähren müssen und aufreizende Kleidung sowie satanische Musik meiden sollen. Als Jugendlicher gehörte der Regisseur des Films, Dietrich Brüggemann, selbst für einige Zeit den Pius-Brüdern an, traumatische Erfahrungen geistlichen Missbrauchs habe er dort aber nicht gemacht, bekannte Brüggemann bei einer Pressekonferenz. Seine Religionskritik ist dennoch fundamental: Wir haben in unserer Gesellschaft so viele Evangelikale, Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, erklärt er. Sie unterscheiden sich in ihrer inhaltlichen Ausprägung, aber sie haben eine gemeinsame Art, wie sie mit Religion umgehen, indem sie sie verabsolutieren. Diesen Absolutheitsanspruch karikiert Brüggemann, indem er seine Darsteller bizarre, lachhafte Sätze sprechen lässt, etwa wenn der Priester Maria auffordert, auf Süßigkeiten zu verzichten, um Gott ein Opfer zu bringen. Maria will Gott besonders nahe sein, sie verzichtet auf Nahrung und Kleidung und boykottiert den Sportunterricht wegen der teuflischen Musik, die dort beim Aufwärmen gespielt wird. Marias Mutter ist eine fromme Furie von ausgemachter Strenge und Lieblosigkeit, der Vater ein sprachloser Trottel. Man wird lange suchen müssen, um eine Familie mit so verschwiemelten, schrulligen Glaubensansichten zu finden, wie sie in Kreuzweg vorgestellt wird. Das Unheil nimmt seinen Lauf: Bei ihrer Firmung bricht Maria, fahl und magersüchtig, zusammen, auf der Intensivstation erstickt sie an der vom Priester gereichten Abendmahlsoblate. Eine einfältige, mit Klischees beladene und von der ersten Szene an vorhersehbare Story. Quäl-Kino! Meine Religion ist das Kino Der Preis der Kirchen Umso verwunderlicher, dass der Film den Preis der Ökumenischen Jury auf der Berlinale erhielt. Dessen Jury-Präsident ist der Bremer evangelische Pastor Dirk von Jutrczcuku. Geehrt werden mit diesem kirchlichen Preis Filmschaffende, die in ihren Filmen ein menschliches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht, oder die es in ihren Filmen schaffen, die Zuschauer für spirituelle, menschliche und soziale Werte zu sensibilisieren. Die Juroren würdigten Kreuzweg als konsequente Erzählung, die fast ohne Kamerabewegung oder Musik auskomme. Der Film zeige die destruktiven Aspekte jedes Fundamentalismus und nötige zugleich zur Reflexion über angemessene Formen des Glaubens. In seiner Dankesrede erklärte Regisseur Brüggemann: Meine Religion ist das Kino. Er freue sich darüber, dass die Kirchen für Kritik so aufgeschlossen seien: Wenn ich einen Film über den Islam gemacht hätte, hätte ich von der muslimischen Kirche (sic!) sicher keinen Preis bekommen. Der Publikumsliebling Boyhood (Kindheit) Von Publikum wie Kritikern gleichermaßen geliebt wurde der Film Boyhood (Kindheit) des US-Regisseurs Richard Linklater. Der Film entstand über einen Zeitraum von zwölf Jahren, jeweils drei bis vier Drehtage pro Jahr, und zeigt das Aufwachsen des sieben Jahre alten Jungen Mason in Austin (USA) von seiner Schulzeit bis zum College-Eintritt. Es ist eine warmherzig erzählte Geschichte, in der wohl jeder Zuschauer an Ereignisse seiner eigenen Kindheit erinnert wird. Mason hat eine freche ältere Schwester, die Eltern sind geschieden, der Vater ist ein Luftikus, der die Verantwortung für seine Kinder erst spät entdeckt. Die Mutter heiratet erneut, doch auch diese Ehe scheitert, weil ihr neuer Mann ein Trinker und Despot ist. Mason entdeckt die Fotografie, verdaddelt viel Zeit mit Computerspielen, er wird lang und schlaksig, er trinkt sein erstes Bier, hat seine erste Freundin alles keine großen Dinge, Alltag im Zeitraffer, aber mit solcher Leichtigkeit gezeigt, dass man das Kino mit Freude verlässt. Besonders gelungen sind die Dialoge, witzig und wahr zugleich. Parallel erzählt der 165 Minuten kurze Film Zeitgeschichte: Als kleiner Junge liest Mason Harry Potter, der Irak-Krieg und der Wahlkampf Obama gegen Bush spielen eine Rolle, später treten Facebook und iPhone ins Leben, sogar die NSA-Affäre hat es noch in den Film geschafft. Zum sechzehnten Geburtstag bekommt Mason von seinem Patchwork-Großvater eine Flinte geschenkt, dessen Frau schenkt ihm eine Bibel. Mason lächelt verdutzt. Alle Darsteller werden in diesem Film älter, ganz ohne Schminke. Was es bisher nur in Langzeitdokumentationen gab, ist nun erstmals in einem Kinofilm Wirklichkeit geworden. Eine köstliche Räuberpistole: The Grand Budapest Hotel Ein weiterer unbedingt zu empfehlender Film ist die britisch-deutsche Komödie The Grand Budapest Hotel des US-Regisseurs Wes Anderson. Sie spielt in einem Luxus-Hotel im fiktiven osteuropäischen Staat Zubrowka; gedreht wurde der Film überwiegend in der östlichsten deutschen Stadt, im schlesischen Görlitz. Der Film erzählt die verrückte Geschichte des Lobby-Jungen Zero, der zum Hoteldirektor aufsteigt. Zero geht beim Concierge Monsieur Gustave in die Lehre, der mit den Vorlieben seiner Gäste bestens vertraut ist und besonders für ältere Damen ein Faible hat. Die so reiche wie schrullige Madame D. vererbt ihm das unbezahlbare Gemälde Jüngling mit Apfel. Bei der Testamentsvollstreckung trifft Monsieur Gustave auf den Widerstand der Angehörigen, zudem ermittelt die Polizei die rätselhafte Todesursache. Gustave wird inhaftiert, bricht aber mit der Hilfe seines Lobby-Jungen wieder aus. The Grand Budapest Hotel ist ein absurdes, aberwitziges, wunderbares Märchen, eine köstliche Räuberpistole, mit merkwürdigen Drehorten, einer irren Verfolgungsjagd mit Skiern und Schlitten, einem Mord im Beichtstuhl, gut abgebürsteten Dialogen und traurigen Erinnerungen an die real existierende Geschichte. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wird das Grand Budapest Hotel zur Kaserne für faschistische Truppen, und als Zero im Jahr 1968 als Hoteldirektor auf die Ereignisse zurückblickt, ist das Grand Hotel stilecht sozialistisch heruntergekommen. Der einst mondäne große Speisesaal hat den Charme einer Bahnhofsgaststätte, der Bäderbereich rostet vor sich hin, das ganze Hotel ist zu einer kaum noch bewohnten Rumpelbude verkommen. The Grand Budapest Hotel ist voller skurriler Einfälle, exzentrischer Personen, überraschender Wendungen ein Film, der bezaubert. Erlösung durch ein Opfer: Die Schöne und das Biest Beschlossen wurde der Berlinale-Wettbewerb mit einem Märchen. In Die Schöne und das Biest verliert ein wohlhabender Kaufmann seine drei Handelsschiffe. Er muss sein Stadthaus aufgeben und zieht mit seinen drei Töchtern und drei Söhnen aufs Land. Als der Kaufmann erfährt, dass eines der Schiffe mitsamt der Ware gerettet werden konnte, macht er sich auf den Weg in die Stadt. Doch alle Güter sind längst verpfändet, hoffnungslos tritt der Kaufmann den Rückweg an. Er verirrt sich in einem eisigen Wald, findet Zuflucht in einem verwunschenen Schloss, wo ihn der zum Biest verunstaltete Schlossherr nur gegen die Auflage ziehen lässt, dass er binnen eines Tages zurückkehrt. Doch seine jüngste Tochter, Belle, die ihren Vater so sehr liebt, springt für ihn in die Bresche. Sie tritt für ihn den Opfergang an: Nehmt mich statt seiner!, ruft sie dem Biest zu. Abend für Abend speist die schöne Belle mit dem furchteinflößenden Biest. Mit der Zeit kommt sie hinter sein trauriges Geheimnis. Erzählt wird das mit übertrieben kitschig schönen Bildern: Der Schlossgarten ist gigantisch, umgeben von Dornen und undurchdringlichem Gestrüpp. Tiere und Natur werden mit Hilfe bombastischer Computer-Trickeffekte zum Leben erweckt. Belle sehnt sich danach, ihre Familie noch einmal zu sehen. Das Untier lässt sie schließlich ziehen. Es muss sterben, falls Belle nicht rechtzeitig ins Schloss zurückkehrt, so will es der Fluch, unter dem das Biest steht. Doch Belle hat das Biest inzwischen liebgewonnen, noch einmal tritt sie also einen Opfergang an. Sie kämpft sich durch die Dornen, bis sie blutet, beweint das sterbende Biest. Da feiert dieses eine Auferstehung als Prinz. Erlösung durch ein Opfer. Dass die Liebe Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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