Wahlkampf: „Kritik an Kirchen ist nicht anzuraten“

Religion ist im Wahlkampf ein heikles Thema, wie die Parteien sehr wohl wissen. Religion.ORF.at sprach mit Experten über Provokationen und wahlpolitische Rücksichtnahme auf religiöse Gemeinschaften und das „katholische Kernsegment“.

Die institutionalisierte Religion, vor allem in Form der katholischen Kirche, verliert in Österreich seit Jahrzehnten an Bedeutung. Sinkende Zahlen beim sonntäglichen Kirchgang und steigende bei den Kirchenaustritten belegen das immer wieder. Dennoch: In Wahlkampfzeiten spielen auch Religionsthemen immer wieder eine Rolle - sei es in der politischen Kommunikation der Parteien oder in Bezug auf ihre Zielgruppen.

Im aktuellen Wahlkampf im Vorfeld der Nationalratswahl 2013 machten in diesem Zusammenhang vor allem die „Nächstenliebe“-Plakate der FPÖ und zuletzt die Diskussion um die bevorzugte Aufnahme von christlichen Flüchtlingen aus Syrien Schlagzeilen.

„Nächstenliebe“ als „gezielte Provokation“

„Die Kritik der Kirchen am Begriff ‚Nächstenliebe‘ auf FPÖ-Plakaten hat dazu geführt, dass die Medien über dieses Plakat viel berichten“, konstatiert die Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger gegenüber religion.ORF.at. Geschadet habe diese zusätzliche Aufmerksamkeit den Freiheitlichen jedenfalls nicht, meinen sowohl Politikwissenschaftler Fritz Plasser als auch Politikberater Thomas Hofer.

Die Experten sind sich einig, dass die Kampagne den Freiheitlichen trotz Kritik an der Verwendung des christlich geprägten Begriffs eher genützt hat. „Das war eine gezielte Provokation“, meint Thomas Hofer sogar. „Man hat sich hier unter anderen Kardinal Schönborn ganz bewusst als Reibungsfläche ausgesucht, um sich auch vom ‚linken Katholizismus‘, wie die FPÖ wohl sagen würde, abzugrenzen“, so Hofer.

„Stimme, die man zur Kenntnis nimmt“

Zumindest für einen Teil der Bevölkerung habe die Stimme eines prominenten Kirchenmanns wie Schönborn aber sehr wohl nach wie vor Gewicht. „Schönborn ist sicherlich eine Stimme, die man zur Kenntnis nimmt“, sagt Plasser. „Ich würde aber nicht so weit gehen, zu sagen, dass sie Einfluss auf den Wahlausgang hat.“ Diese Zeiten seien längst vorbei, meint auch Rosenberger: „Im Sinne der Beeinflussbarkeit der Wählerschaft sind die Kirchen in den letzten drei Jahrzehnten schwach geworden.“

Eher als der FPÖ die Kritik an ihren Plakaten habe einer anderen Partei kirchliche Kritik in einem anderen Bereich geschadet, sagt Hofer: „Die ÖVP hat im Zusammenhang mit ihrem Umgang mit den sogenannten Votivkirchen-Flüchtlingen sicher bei einigen ihrer Kernwähler Erklärungsbedarf“, so der Politikberater.

Einzelne Politiker „betont religiös“

Abgesehen davon, dass sich einzelne Politiker mit konkreten Handlungen mitunter Kritik von religiöser oder kirchlicher Seite einhandeln, versuchen sie allerdings auch immer wieder, sich selbst betont religiös oder zumindest als Anwalt religiöser Gruppen zu präsentieren.

ÖVP-Chef Michael Spindelegger zum Beispiel betont seit Jahren seinen Einsatz für verfolgte Christen überall auf der Welt - zuletzt im Zusammenhang mit der Aufnahme von 500 syrischen Flüchtlingen in Österreich. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache tat es ihm bei seiner ersten TV-Konfrontation gleich, als er unaufgefordert die Lage der Christen in Ägypten thematisierte.

Abgrenzung durch christliche Symbole

Für Politikwissenschaftlerin Rosenberger sind derartige Aktionen aber nicht nur eine Hinwendung zu einer bestimmten Gruppe, sondern gleichzeitig auch eine Abgrenzung von einer anderen. „Christliche Symbole helfen bestimmten Politikern, sich zu verorten und in bestimmten Milieus zu verankern. Sie helfen gleichzeitig, sich abzugrenzen - von Muslimen, von Fremden etc. Die intendierte Abgrenzung ist vermutlich ähnlich relevant wie die dezidierte Hinwendung zu einer bestimmten Gruppe.“

Zumindest für eine Partei ist das „katholische Kernsegment“, das möglicherweise auf diese Weise angesprochen werden kann, nach wie vor ein wichtiger Wahlkampffaktor: Fast zwei Drittel der Kirchgänger wählen nach wie vor die christlich-soziale ÖVP, so Plasser zu religion.ORF.at. „Für die Volkspartei ist diese Gruppe nach wie vor ein unverzichtbarer Stabilisator“, sagte der Politikexperte.

Kirchenkritik schadet im Wahlkampf

Doch auch andere Parteien versuchen, in diesem Teich zu fischen. Eine offene Opposition zur katholischen Kirche kann sich in Wahlkampfzeiten offenbar keine Partei leisten – nicht einmal NEOS, das mit Niko Alm einen der Initiatoren des gescheiterten „Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien“ an prominentem Listenplatz führt.

„Das Volksbegehren hat gezeigt, dass bei aller Säkularisierung Kritik in dieser Schärfe nach wie vor zurückgewiesen wird“, so Plasser dazu. Zumindest bei den beiden Großparteien sei von einer gewissen „wahlpolitischen Rücksichtnahme“ auf die Kirchen auszugehen. Hofer sieht das ähnlich: „Wenn überhaupt, dann hätte man Kirchenkritik zeitnah zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zum Thema machen können. Für eine Partei, die eine gewisse Breite anstrebt, ist Kritik an den Kirchen nicht anzuraten“, so Hofer.

Michael Weiß, religion.ORF.at

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