Sommerzeit

29. Juli 2013


Ich liebe den Sommer. Alles lebt jene sieben Prozent intensiver, die den Unterschied zwischen Walzer und Samba ausmachen. Die Menschen strahlen mit der Sonne um die Wette und alles ist schön. Vor allem schön heiß. So heiß, dass man kaum mehr atmen kann. Und wenn doch, dann schluckt man soviel Ozon, dass man beim Ausatmen einen ganzen Fuhrpark desinfiziert.[1] Aber ansonsten – alles wunderbar!

Gut, Misanthropen wie Wilhelm Busch müssen uns in dem Punkt natürlich widersprechen: „Fortuna lächelt, / doch sie mag nur ungern / voll beglücken; / Schenkt sie uns / einen Sommertag, / so schenkt sie uns / auch Mücken.“ Ja. Richtig. Aber dagegen gibt es was, das einen in dem unerbittlichen Kampf gegen den nahezu unsichtbaren Gegner unterstützt, wenn sich das sporadische Jagen vereinzelter Exemplare als wenig effektiv entpuppt. Wir nutzen da so ein Mittel, dass man in den Bereich sprüht, in den man sich später niederzulassen gedenkt. Nach dem dreimaligen Aussprühen des fraglichen Areals ist dieses mückenfrei. Es darf dann wegen akuter Verätzungsgefahr vier Stunden lang nicht betreten werden, was problematisch ist, weil der Sprühvorgang alle zwei Stunden wiederholt werden soll. Wir bleiben auch gerne mal drinnen.

Unser Nachbar von gegenüber hat eine andere Lösung gefunden: eine Art Federballschläger, in dessen Rahmen, also dort, wo sonst die Saiten gespannt sind, auf Knopfdruck Blitze zucken, die alles im Einzugsbereich des Rahmen befindliche organische Leben sofort auslöschen. Seither mischt sich in den Duft der Hyazinten (oder wie sie heißen) der gebratenen Fleisches – und es ist nicht das Grillgut, das ich meine. Um ehrlich zu sein: Wir halten die Boris-Becker-Exekutionen für eine allzu brutale Methode. Andererseits: Wenn der Nachbar mit seinem Mitteln in der Lage ist, jede Mücke im Schöneberger Süden elfmal zu töten, müssen wir aus Gründen des Kräftegleichgewichts nachlegen. Im Baumarkt stellen wir fest, dass es ganze Abteilungen zur Mücken-Abwehr gibt. Wir lassen uns beraten und erwerben mehrere Spiralen, die man unter Tische und Stühle verteilt und langsam und sanft abbrennen lässt. Der Geruch der Spiralen vertreibt die Mücken (und den Appetit). Die Mücken fliehen zum Nachbarn, wo sie… bzzzt! So ist allen geholfen.

Apropos Nachbarn, apropos geholfen. Ja, die lieben Nachbarn. Sie sorgen im Sommer für eine besonders hohe Produktivität. Ihre reihum abgehaltenen, im Endeffekt dann alltäglichen (und allnächtlichen) Grillpartys beflügeln meinen Seitenausstoß nicht unbeträchtlich. Denn es ist ja so: Die zum Einschlafen nötige Ruhe hätte man nur, schlösse man Fenster und Türen. Im hermetisch geschlossenen Raum erstickte ein erwachsener Mensch jedoch innerhalb von 20 Minuten. Da ich diese Zeilen schreibe, kann ich bisher nicht erstickt sein. Klar: Wir lassen Fenster und Türen geöffnet, so dass etwas „frische“ Luft einströmen kann. Und Grillpartygeräusche. Das Annoncieren fertiggestellter Wurstwaren. Das Ploppen von Kronkorken. Wolfgang Petry.

Und jetzt kommt’s: Statt nun schlaflos im Bett zu liegen, kann ich auch schlaflos am Schreibtisch sitzen. Diese Einsicht, die mir nach einigen durchwachten Nächten („Hölle, Hölle, Hölle“) spontan gekommen ist, hat dazu geführt, dass ich in der kurzen Grillsaison mehr schreibe als im ganzen Rest des Jahres. Freilich könnte ich mich auch beschweren und darauf hinweisen, dass ab 2 Uhr nur noch Tischfeuerwerke gestattet sind und Wolfgang Petry in weniger als 120 dB zu erschallen habe (Genfer Konvention, Zusatzartikel), aber was soll’s. Ich will kein Spielverderber sein und gönne den Menschen ihre Freude am Grillen. Und Gröhlen.

Wie gesagt: Es hat ja auch sein Gutes. Ein lange überfälliger Essay wurde unter der Woche fertig (das junge Pärchen von schräg gegenüber feierte seinen Einzug), dann zwei Rezensionen („Schön, dass ihr auch noch…“ – „Ja, je später der Abend…!“ – „Wer hatte denn Pute? Ey! Ich hab was gefracht!“). Am Freitag feierte die Großfamilie von links nebenan (drei Gedichte, ein Romanentwurf, zwei Kapitel der Habil), am Samstag wurde ein Junge aus dem dritten Obergeschoss volljährig (fünf Drehbücher, eine Steuererklärung), am Sonntag feierten die rüstigen Rentner ihr wöchentliches „Ihr müsst morgen arbeiten – und wir nicht!“-Gelage (ein Gutachten, drei Essays, ein Exposé für ein Buch zum demographischen Wandel in Deutschland).

Das Schlafen habe ich mir mittlerweile abgewöhnt. Wie? Dazu ist ein Ratgeber in Arbeit. Vielleicht schaffe ich es, ihn am nächsten Wochenende fertigzustellen. Auszugsgrillen, Seitenflügel, 1. OG, rechts.

(Josef Bordat)

[1] Ja, ich habe mich erkundigt: Ozon wird „in der professionellen Fahrzeugaufbereitung“ genutzt, um „Gebrauchtwagen mit Geruchsbelastung“ zu behandeln, da Ozon die Eigenschaft hat, „Geruchsstoffe in geruchsneutrale Stoffe“ umzuwandeln. Praktisch, nicht wahr?

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