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Christenverfolgung: Trauerfeier für ermordeten Minister

Foto: FAROOQ NAEEM/ AFP

Pakistan Christen fürchten nach Ministermord um ihr Leben

Attentate auf Politiker, Verfolgung von Minderheiten, täglich Bombenexplosionen: Pakistan trennt nicht mehr viel von einem gescheiterten Staat. Kaum jemand traut sich noch, offen Kritik an islamischen Extremisten zu äußern. Vor allem Christen fühlen sich bedroht.

Worte können tödliche Wirkung haben in Pakistan. So wie die angeblichen Äußerungen der Christin Asia Bibi, einer einfachen Frau, die im Streit mit muslimischen Kolleginnen Jesus über den Propheten Mohammed gestellt haben soll. Es steht nicht einmal fest, ob sie so etwas überhaupt gesagt hat, aber sie wurde trotzdem zum Tode verurteilt. Oder wie die Forderungen von Salman Taseer, dem Gouverneur der Provinz Punjab, Asia Bibi zu begnadigen. Er wurde Anfang Januar in der Hauptstadt Islamabad erschossen. Oder wie die Kritik des Minderheitenministers Shahbaz Bhatti am Blasphemiegesetz, der davon sprach, es werde dazu missbraucht, private Streitigkeiten auszutragen. Bhatti wurde am Mittwoch in Islamabad ermordet.

Bischof Andrew Francis, 64, atmet tief durch. Gerade hat er die Trauerfeier für Bhatti geleitet, hat versucht, Trost zu spenden und Hoffnung zu machen. Bhattis Sarg ist eben mit einem Regierungshubschrauber ausgeflogen worden. Bischof Francis hat es eilig, er will sich jetzt ins Auto setzen und fünf, sechs Stunden fahren, dem Hubschrauber hinterher, ins Dorf Khushpur, in Zentralpunjab, wo Bhatti beigesetzt werden soll. Aber er nimmt sich Zeit zu sprechen, überlegt lange, wählt vorsichtig seine Worte. "Wir verurteilen weder den Islam noch Pakistan", sagt er. "Wir wollen auch nicht Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das Einzige, das wir verlangen, ist Gerechtigkeit."

Ob er nun, nach der Ermordung Bhattis, dem einzigen christlichen Minister im pakistanischen Kabinett, so etwas wie Angst spüre? Wieder zögert er. "Nein. Wir glauben alle an den einen Gott, und das macht uns Mut." Wirklich? "Ja, ganz gewiss. Im Jahr 2001, mitten in einem Gottesdienst, kamen Terroristen in meine Kirche und schossen in die Gemeinde. 18 Menschen starben. Ich habe auch damals nicht den Mut verloren", sagt er.

Wütende Christen vor der Kirche in Islamabad

Francis ist ein diplomatischer Geistlicher. Er ist Pakistaner, ist in dem Land groß geworden, er kennt die Empfindlichkeiten und Gefahren. Außerdem ist er zuständig für den interreligiösen Dialog, da muss man bedächtig sein.

Draußen vor der Fatima-Kirche in Islamabad klingt das anders. Da stehen Hunderte von Christen. Sie weinen und sagen, sie hätten Angst um ihr Leben. Ein junger Mann schreit immer wieder dieselbe Frage: "Wen wollt ihr als nächstes umbringen?" Ein anderer sagt: "Wir sind in Pakistan geboren, das ist unsere Heimat. Wohin sollen wir nur gehen?" In Pakistan leben Schätzungen zufolge etwa drei Millionen Christen, bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 185 Millionen Menschen, zuverlässige und nachprüfbare Zahlen gibt es nicht.

Viele Frauen weinen und liegen sich in den Armen. "Wir werden verfolgt und benachteiligt. Ständig müssen wir fürchten, dass man uns wegen irgendeiner Sache Blasphemie anhängt, uns zum Tode verurteilt oder uns gleich auf der Straße ermordet", sagt Javed, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern zur Kirche gekommen ist, um von Minister Bhatti Abschied zu nehmen.

Doch sie dürfen nicht in die Kirche, Polizisten riegeln die Zugänge ab. Auf den umliegenden Dächern sind Scharfschützen postiert. In weiten Teilen Islamabads herrscht Ausnahmezustand, an jeder Straßenkreuzung stehen Sicherheitskräfte mit Maschinenpistolen. Man fürchtet einen Anschlag auf die Trauergemeinde.

Premierminister Yousuf Raza Gilani ist in die Kirche gekommen, er spricht von einem "sehr traurigen Tag, einem sehr schwarzen Tag". "Bhattis Tod ist ein großer Verlust für die Nation, er hat sich für Harmonie zwischen den Religionen eingesetzt", sagt er. Alle Minderheiten in Pakistan hätten einen großen Führer verloren. "Ich versichere Ihnen, dass wir alles unternehmen werden, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen."

Premierminister meidet das Thema Blasphemiegesetz

Bislang haben die Politiker - einschließlich der Regierung - nicht viel dazu beigetragen, die Situation von Minderheiten zu verbessern. Christen werden seit Jahren verfolgt, ebenso die Ahmadi-Muslime, die in Pakistan nicht als Muslime anerkannt werden. Als Gouverneur Taseer von seinem eigenen Leibwächter erschossen wurde, feierten Tausende Menschen den Mörder als Helden. Anwälte bewarfen ihn mit Rosenblättern, als er dem Haftrichter vorgeführt wurde, und boten seine kostenlose Verteidigung an. Mehrere Umfragen ergaben die meisten Stimme für das Votum, der Mörder Taseers solle nicht bestraft werden. Eine Mehrheit steht offenbar hinter dem Blasphemiegesetz.

Gilani vermeidet es deshalb in seiner Trauerrede, dieses Gesetz zu erwähnen. Ursprünglich von den Kolonialherren in Britisch-Indien eingeführt, um jede Religion vor Beleidigung zu schützen und Streitereien zwischen Muslimen und Hindus zu verhindern, verschärfte der pakistanische Militärdiktator General Zia ul-Haq das Gesetz Mitte der achtziger Jahre. Seither sind knapp tausend Menschen aufgrund dieses Paragrafen verurteilt worden, die meisten Muslime, aber auch 119 Christen. Trotz mehrerer Todesurteile wurde zwar noch niemand hingerichtet, doch viele Angeklagte und deren Angehörige wurden später von einem Mob gelyncht oder Opfer eines Attentäters.

Die zwei Politiker, die das Blasphemiegesetz abschaffen, wenigstens aber ergänzen wollten, so dass ein Missbrauch nicht mehr möglich ist, wurden in den vergangenen zwei Monaten umgebracht: Salman Taseer und Shahbaz Bhatti. Die dritte, die frühere Informationsministerin Sherry Rehman, ist untergetaucht. Versprechen der Regierung, sich der Sache anzunehmen, sind verhallt. "Es gibt keinerlei Bestrebungen, dieses Gesetz auch nur im Geringsten anzutasten", sagt ein Parlamentarier der Regierungspartei PPP. "Wer so etwas auch nur vorschlägt, steht sofort auf der Todesliste der Extremisten."

Die Regierung hat kapituliert vor den Militanten. Sie ist eingeknickt vor den Drohungen der Radikalen. Mit Gewaltandrohungen setzen die Extremisten ihre Agenda durch, ohne formell an der Macht zu sein. Extremistische Parteien schneiden bei Wahlen regelmäßig schlecht ab. Doch eine arme, von horrender Inflation geplagte Bevölkerung nimmt die Gewalt hin. Sie protestierte, als die Regierung kürzlich den Benzinpreis um zehn Prozent anhob, und setzte durch, dass er jetzt nur um fünf Prozent steigt. Gegen Bhattis Ermordung demonstrierten in den Städten nur wenige hundert Menschen.

Islamisten versetzen das Land in einen kriegsartigen Zustand. Am Dienstag attackieren Militante eine Mädchenschule im nordpakistanischen Mardan mit Handgranaten. Wie durch ein Wunder kommt niemand ums Leben, 35 Mädchen werden verletzt. Am Donnerstag, einen Tag nach der Ermordung Bhattis, sterben bei zwei Angriffen auf Polizisten 15 Menschen.

Noch während der Trauerfeier für Bhatti am Freitag explodiert eine Autostunde von Islamabad entfernt eine Bombe in einer Moschee. Mindestens neun Menschen werden getötet.

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