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Krebs-Impfung "Wir hätten Tausende Tote auf dem Gewissen gehabt"

Die lange Zeit umjubelte Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs gerät immer stärker in die Kritik: Sie sei überstürzt eingeführt worden, ihre Wirksamkeit nicht bewiesen. Friedrich Hofmann, Chef der Impfkommission der Bundesregierung, sagt im Interview: Er würde alles noch einmal genau so tun.

SPIEGEL ONLINE: Herr Hofmann, Tausende Mädchen haben die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs bekommen - obwohl niemand weiß, wie gut sie wirkt und welche Langzeitwirkungen sie haben könnte. Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Impfung dennoch - war das voreilig?

Hofmann: Nein, denn wir hatten gute Daten vorliegen, die gezeigt haben, dass die Impfung die Vorformen des Gebärmutterhalskrebses verhindern kann.

SPIEGEL ONLINE : Bislang haben Studien nur ergeben, dass die Impfung vor diesen Vorformen, nicht aber vor Gebärmutterhalskrebs schützt. Das"New England Journal of Medicine" kommentierte im August : "Die schlechte Nachricht ist, dass wir die Wirksamkeit der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs nicht kennen."

Hofmann: Das ist richtig. Wir kennen die Wirksamkeit erst, wenn 10 bis 20 Jahre vergangen sind, denn dann entsteht aus den Vorformen ein Tumor.

SPIEGEL ONLINE : Trotzdem haben Sie im März 2007 die Impf-Empfehlung  ausgesprochen. Warum?

Hofmann: Wir waren ethisch in einer angespannten Situation: Wir wussten, dass diese Vorformen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Gebärmutterhalskrebs führen. Und wir hatten eine effiziente und zugelassene Impfung gegen die Vorformen. Also haben wir sie empfohlen, um die Todesrate in der Bevölkerung zu senken. Wenn wir gesagt hätten, wir warten mal ab, wie sich das mit dem Gebärmutterhalskrebs entwickelt, dann hätten wir 10 bis 20 Jahre warten müssen. Dann hätte die Impfkommission einige Tausend Tote auf dem Gewissen gehabt.

SPIEGEL ONLINE : Dass die Impfung tatsächlich so viele Todesfälle verhindern kann, ist aber offenbar gar nicht sicher. Zwar kursiert immer wieder die Zahl, dass die Immunisierung 70 Prozent aller Tumoren verhindern kann. Jetzt aber kritisieren 13 renommierte Mediziner in einem Manifest , dass diese Einschätzung viel zu optimistisch ist, weil es dabei nur um die HPV-Viren 16 und 18 geht.

Hofmann: Die sind ja für 70 Prozent der Tumoren verantwortlich.

SPIEGEL ONLINE : Wirklich? Wenn man alle Frauen betrachtet, die in die placebokontrollierte Studie zur Wirksamkeit  eingeschlossen waren, konnte die Impfung hochgradige Zellveränderungen nur um 17 Prozent verringern.

Hofmann: Unser Dilemma ist: Einerseits haben die Studienteilnehmerinnen aus der Placebo-Gruppe zu Recht sofort die Impfung verlangt, als klar wurde, dass der Impfstoff vor den Schleimhautläsionen schützt, aus denen Gebärmutterhalskrebs entsteht. Andererseits haben wir keine Meldepflicht für den Gebärmutterhalskrebs, so dass wir nie genau wissen werden, ob vor Beginn der Impf-Ära nun 1600, 1800 oder 2000 Frauen jährlich daran gestorben sind.

SPIEGEL ONLINE : Wenn es am Endpunkt nur 17 Prozent weniger Zellveränderungen sind, ist die Impfung dann immer noch gerechtfertigt?

Hofmann: Sicherlich! Wir können durch die Impfung in Zukunft eine Menge Todesfälle verhindern.

SPIEGEL ONLINE : Auch wenn man die Langzeit-Nebenwirkungen noch nicht kennt?

Hofmann: Deswegen heißen wir ja ständige Impfkommission, weil wir ständig und aufs Neue Nutzen und Risiken der von uns empfohlenen Impfungen abwägen. Wenn sich zeigt, dass schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten, werden wir unsere Empfehlungen natürlich überdenken.

SPIEGEL ONLINE : Die Impfstoffe Gardasil und Cervarix sollen vor allem vor den HPV-Subtypen 16 und 18 schützen. Einige Wissenschaftler vertreten die Theorie, dass das Abfangen dieser Viren eine Nische für andere HPV-Typen öffnet, die ebenfalls Gebärmutterhalskrebs auslösen. Fördert eine Impfung vielleicht sogar das Tumorwachstum?

Hofmann: In der Theorie existiert diese Möglichkeit. Bei Erregern wie den Meningokokken oder den Pneumokokken ist es zwar nicht so, dass eine Impfung neuen Erregertypen hilft, sich auszubreiten. Man kann diese Ergebnisse aber nicht eins zu eins übertragen, und deswegen prüfen wir das bei allen Impfungen immer wieder. Und wenn wir sehen, dass eine Impfung gegen einen Subtyp nichts an der Gesamtzahl der Erkrankungen verändert, dann stellen wir diese Impfung natürlich in Frage. Bei HPV können wir das bislang nicht erkennen.

SPIEGEL ONLINE : Im Epidemiologischen Bulletin des Berliner Robert-Koch-Instituts  spricht die Impfkommission von einer "lebenslangen Impf-Effektivität" von 92,5 Prozent. Doch im selben Text steht, dass die Dauer der Immunität nicht bekannt sei. Auch hier ist die Datenlage offenbar ziemlich wackelig.

Hofmann: In der Tat wissen wir noch nicht, ob wir eine Auffrischungsimpfung brauchen. Das ist aber bei vielen Erregern so, das müssen wir abwarten. Und schließlich können wir "lebenslang" erst sagen, wenn ein Leben vergangen ist. Und wie lange ein Leben dauert, steht schon in der Bibel.

SPIEGEL ONLINE : Sie empfehlen die Impfung für 12- bis 17-Jährige. Daten gibt es aber nur für 15- bis 17-Jährige. Wie kommen Sie auf diese Altersstufe?

Hofmann: Wichtig ist, die Mädchen vor ihrem ersten Sexualkontakt zu impfen. Mit 15 ist das für viele zu spät. Andererseits sollte man nach unserer Einschätzung Mädchen nicht früher als mit 12 Jahren mit der Frage nach späteren Sexualkontakten und eventuellen Krankheiten konfrontieren.

SPIEGEL ONLINE : Sie empfehlen verunsicherten Eltern also weiterhin, ihre Töchter gegen HPV impfen zu lassen?

Hofmann: Wenn eine meiner Töchter jetzt 16 wäre, würde ich das auf jeden Fall machen.

Das Interview führte Heike Le Ker

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