Christenverfolgung? Nicht mit uns!

9. August 2013


In einem diesseits-Artikel mit der Überschrift Regierung uneins in Sachen „Christenverfolgung“* geht es im Wesentlichen um zwei Dinge: 1. Die Wahlprogramme von Union und FDP (vulgo: „Regierung“) unterscheiden sich; 2. Es gibt keine Christenverfolgung.

Das überrascht. Mich zumindest.

Zunächst stellt sich die Frage nach dem Verständnis der Konzepte „Partei“ und „Koalition“, der einer diagnostizierten „Uneinigkeit“ von Union und FDP zugrunde liegen muss. Seit wann genau müssen sich Parteien in einer Regierungskoalition in jedem Punkt einig sein? Es gibt doch immer Differenzen. Gäbe es sie nicht, bräuchte es nicht zwei verschiedene Parteien. Und selbst innerhalb einer Partei gibt es unterschiedliche Strömungen. Und: Dass man sich gerade vor einer Wahl auf die eigene Position zurückzieht, unter anderem deswegen, weil es ja gilt, nach der Wahl eine neue Regierung zu bilden, mit einem neuen Regierungsprogramm, ist das so ungewöhnlich? Eben. Also: Was soll das?

Der entscheidende Punkt ist aber, wie in dem Artikel das Thema Christenverfolgung verharmlost und der Einsatz für verfolgte Christen als „Lobbying“ diskreditiert wird. Wenn die Union in ihr Wahlprogramm schreibt: „Wir treten weltweit für Religionsfreiheit aller Menschen ein. Dazu gehört der beharrliche Einsatz für Christen in über 50 Ländern, die wegen ihres Glaubens bedrängt, verfolgt und vertrieben werden.“, sieht diesseits „religiösen Lobbyismus“ am Werk, der vom Stephanuskreis (einem – sie erraten es – „Lobby-Gremium“) gleichsam am gesunden Menschenverstand vorbei ins Parteiprogramm geschmuggelt wurde. Die Botschaft: Religiöse Fanatiker kuschen vor der Kirche! Und Merkel schaut zu.

Das ist nicht nur eine arg tendenziöse Auslegung (Denn zunächst geht es ja um die Religionsfreiheit aller Menschen – im übrigen, ob es diesseits nun passt oder nicht: Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht – und dann innerhalb des Eintretens für Religionsfreiheit um den Einsatz für verfolgte Christen, der zum Eintreten für Religionsfreiheit dazu gehöre, was nachvollziehbar ist, denn auch das Christentum ist eine Religion.), das ist auch und vor allem eine Unverschämtheit gegenüber den Politikern, die sich eines schwierigen Themas annehmen.

Wenn dann immer wieder von „so genannter“ Christenverfolgung die Rede ist oder der Begriff – wie in der Überschrift – in neckische An- und Abführung gekleidet wird, um dessen uneigentlichen Charakter zu behaupten (Die Botschaft: Christenverfolgung gibt es eigentlich nicht! Alles ein Hirngespinst der CDU/CSU und ihrer Sie-wissen-schon!), dann ist das eine Verhöhnung von über 100 Millionen Menschen, die tagtäglich in unterschiedlichen Formen benachteiligt werden, allein, weil sie Christen sind. Es überzieht die mehr als 1 Million Menschen, die seit der Zeitenwende (1989) der Christenverfolgung zum Opfer fiel, mit beißendem Spott. Es verletzt ihre Angehörigen. Und jeden Menschen, der noch eine Spur Vernunft und Mitgefühl in sich trägt.

Natürlich gibt es keine offiziellen Statistiken zur Christenverfolgung. Die Zahlen sind Schätzungen von Organisationen, die sich seit Jahrzehnten dem Thema widmen, etwa Open Doors, einer Hilfsorganisation, die in umfangreichen und differenzierten Untersuchungen die Lage von Christen in unterschiedlichen Teilen der Welt nachvollziehbar beschreibt. Und diese Lage ist in weiten Teilen der Welt schlecht, in einigen Teilen der Welt sogar sehr schlecht. Doch selbstverständlich: Wenn man die Regierung in Nordkorea fragt, leben die Christen dort im Paradies. Auch gibt es oft Regeln zur formale Gleichbehandlung von Angehörigen unterschiedlicher Religionen, die aber in der Praxis nicht greifen. Auch die DDR-Verfassung kannte „Religionsfreiheit“. Und dennoch – Überraschung! – „unterlagen Christen verschiedenen Repressionen“, wie sogar Wikipedia weiß.

Dass man bei diesseits der Meinung ist, aus der Einschätzung, es existierten „keine seriösen Statistiken“ (definiere: „seriös“) zum Thema Christenverfolgung, könne man ohne weiteres darauf schließen, das insoweit „nicht belegte“ Phänomen Christenverfolgung existiere dann wohl auch überhaupt nicht, zeigt mir, wohin man gelangen kann, wenn man sich zu sehr im Diesseits verhaftet fühlt, wenn sich Wahrheit und Sinn im hic et nunc erschöpfen: in die totale ideologische Verblendung einer Weltsicht, in der nichts ist, was nicht zugleich auch passt. – „Ich glaube nur, was ich sehe!“ Das ist Ihr Recht. Aber bitte verschließen Sie dabei nicht die Augen. Zum Beispiel vor der Realität.

* Da ich der Desinformation keinen Vorschub leisten möchte (Ja: Mittelalter!), gibt es hier keinen Verweis. Ich bin sicher, Sie werden den Text bei Bedarf finden.

(Josef Bordat)

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