Hungertuchbetrachtungen (3)

16. April 2014


Drittes Bild: Leben in Fülle.

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes

Amen, amen, das sage ich euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme des Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte. Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden. Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. (Joh 10, 1-10)

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Haben Sie gerade gelesen, was uns verheißen ist? Ein Leben in Fülle! Das ist kein Scherz, sondern eine ganz zentrale biblische Botschaft: Gott will, dass wir ein Leben in Fülle haben. Jesus ist dafür zu uns gekommen und bildet als Guter Hirte das Gegenstück zu Räubern, Dieben und anderen Menschengruppen, die es nicht gut mit uns meinen. Gott aber meint es gut mit uns.

Die beiden unteren Bilder korrespondieren miteinander. Deutlich erkennbar ist der parallele Bildaufbau. So ähnlich die Kompositionen formal auch sind, so deutlich unterscheiden sie sich inhaltlich. Auf dem Bild zum Thema „Leben in Fülle“ sehen wir Menschen, es könnten wohl Kinder sein, die nicht am, sondern auf dem Tisch sitzen, die essen und trinken, in bescheidenem Maße, Wasser und Brot, wie es aussieht. Sie sehen sich an, stehen in Beziehung miteinander. Von unten wächst das Korn heran. Die Tischkante ist etwas höher angesetzt als im Bild nebenan – ein Zeichen gehobener Moral?

Man könnte es bald meinen, denn welch einen Kontrast erleben wird dort zu der Mahlgemeinschaft der Kinder: Gut gekleidete Erwachsene sitzen steif an einer überreichen Tafel, blicken stur geradeaus, über die von unten emporgestreckten leeren Hände hinweg. An diesem Tisch ist sich jede und jeder selbst der Nächste. Das Leben in Überfülle für einige wenige „Gewinner“, die damit aber auch nicht wirklich glücklich erscheinen, kennt viele Verlierer, die in ihrem Leben vor dem Nichts stehen. Auf dem Bild, das wir heute betrachten, ist hingegen Niemand außen vor. Alle sitzen auf einer Ebene, auf dem Tisch selbst. Sie wirken zufrieden, auch ohne teuren Wein.

Das Leben in Fülle für alle Menschen zu gewährleisten, das kann nur dann gelingen, wenn diejenigen, die in der Überfülle leben, nicht warten, bis Räuber und Diebe kommen, sondern, wenn sie sich dem Hirten anvertrauen, der oft genug von der Bedeutung des Teilens spricht, der Mut macht, sich des Anderen anzunehmen. Leo Nowak, emeritierter Bischof von Magdeburg, hat dazu einmal gesagt: „Das Leben in Fülle hat schon längst begonnen. Überall, wo sich Gutes zeigt und Gutes getan wird, da leuchtet es auf, dieses so andere Leben, das sich in Jesus, dem Christus, so wunderbar gezeigt hat.“ Leben in Fülle ist also ein „anderes Leben“. Jedenfalls ist es anders, als wir es gewohnt sind.

(Josef Bordat)

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