Maria Kohl-Macini.
Bildrechte: BR / Peter Allgaier

Maria Kohl-Macini.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Als Transfrau in die Damensauna? Streit um neues Bundesgesetz

Der Bundestag berät erstmals über das Selbstbestimmungsgesetz. Es soll vieles für Transpersonen erleichtern. Doch es gibt Kritik an dem Entwurf, auch von Betroffenen selbst. Eine von ihnen spricht von einem "Misstrauensparagraf".

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Rund elf Jahre ist es her, als Stephan Kohl die vielleicht wichtigste Entscheidung seines Lebens traf. Von außen betrachtet hatte der Weißenhorner Internist erreicht, was man als gelungenes Leben bezeichnet – eine Arztpraxis und eine glückliche Familie. Doch Kohl spürte, dass etwas nicht stimmt. Dass er eigentlich im falschen Körper steckt und lieber als Frau leben würde. Mit 56 Jahren entschied er sich "außen" und "innen" zusammenzubringen. Vor die Praxistür hängte er damals ein Schild: "Wegen Systemwechsel geschlossen".

"Entwürdigende Gutachten"

Stephan heißt heute Maria, trägt Ohrringe und roten Lippenstift. Die Entscheidung als Frau zu leben, hat sie nicht bereut und spricht auch Jahre später noch gerne öffentlich über ihren Prozess dorthin, inklusive ihres früheren Namens (weswegen wir diesen auch hier im Text nennen, Anm. d. Redaktion).

Heute blättert Maria Kohl-Mancini im Entwurf zum neuen Selbstbestimmungsgesetz, das es erleichtern soll, den Geschlechtseintrag zu ändern. Betroffene müssten dann keine psychologischen Gutachten mehr einholen, die viele als entwürdigend empfinden, weil sie nach sexuellen Vorlieben gefragt werden oder zu Hobbys, die dann als "weiblich" oder "männlich" eingestuft werden. Diese Änderung am Gesetz begrüßt Kohl-Mancini - doch manches am Entwurf stört sie erheblich.

Bäder oder Saunen sollen selbst entscheiden können, ob sie Transpersonen in bestimmten Fällen ablehnen dürfen, auch wenn diese sich mit Pass als Frau ausweisen. "Das ist ein Misstrauensparagraf, bei dem einen irgendwelche Laien beurteilen sollen", kritisiert Kohl-Mancini.

Schwierige Entscheidung an der Kasse

Carsten Sonnenberg, Präsident des Deutschen Sauna Bundes, bietet schon jetzt Kurse an, um Mitarbeiter rechtlich zu schulen. Sie sollen verstehen, wie man mit so einer Situation an der Kasse oder auch innerhalb der Einrichtung umgeht. Sonnenberg ist mit dem Entwurf der Ampelregierung weitgehend zufrieden. Inhaber privater Saunen könnten demnach weiterhin von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und in Bereichen der Privat- oder Intimsphäre Personen ohne Begründung ablehnen.

"Viele Frauen wollen nicht in eine Gemischtsauna und möchten auch nicht, dass eine Person mit männlichem Geschlechtsteil in die Damensauna kommt", sagt Sonnenberg. Er betont, nicht gegen das Selbstbestimmungsgesetz zu sein, die Frauensauna sei wirtschaftlich aber für viele Betreiber wichtig. Der Präsident des Sauna Bundes sieht das geplante Gesetz in Einklang mit europäischem Recht.

Antidiskriminierungsstelle rügt Entwurf

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kommt zu einer anderen Auffassung. Der Entwurf bestärkte Vorurteile, heißt es in einer Stellungnahme. Frauen könnten nicht selbstbestimmt ihr Geschlecht leben, wenn sie z.B. nicht "weiblich genug" aussehen. Erwartungen anderer, wie eine Frau oder ein Mann auszusehen habe, dürften nicht aufgezwungen werden und auch kein Grund sein, andere zu benachteiligen, heißt es in dem Schreiben. Aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle reichen die rechtlichen Möglichkeiten schon jetzt vollkommen aus. "Wer sich übergriffig und gewalttätig verhält, kann auf Grundlage des Hausrechts aus Räumen ausgeschlossen werden, unabhängig davon, ob der Geschlechtseintrag weiblich, männlich, divers oder offen ist."

Feministinnen fordern Rücksicht

Für Chantal Louis ist die Frage, wer sich Mann oder Frau nennen darf, essenziell, wenn es um geschützte Frauenräume wie Toiletten, Umkleiden, Saunen oder auch Duschen geht. Die Redakteurin der feministischen Zeitschrift "Emma" will Transfrauen keineswegs unter Generalverdacht stellen, befürchtet aber, dass Lücken durch andere ausgenutzt werden könnten. "Transaktivisten müssen das als Problem erkennen. Stattdessen sagen sie, die Frauen sollen sich nicht so anstellen", sagt Louis. Seit 2011 gibt es keinen Zwang mehr zu einer geschlechtsangleichenden Operation, den das Transsexuellengesetz früher vorgeschrieben hatte. Diese Vorgabe hatte das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.

Die "Emma"-Redakteurin befürchtet, dass "jegliche Hürde" fallen könnte, weil ein Gang zum Standesamt künftig reicht, um seinen Geschlechtseintrag zu ändern. Generell beobachtet sie derzeit eine Art Trend Richtung Trans: "Wir haben jetzt schon Schulklassen, in denen sich vier bis fünf Mädchen zu Jungen erklären wollen. Dabei stecken oft andere Probleme dahinter, wie Angststörungen oder Probleme in der Pubertät." Louis sorgt sich, dass Menschen zu unüberlegt einen Weg wählen, ihre Entscheidung nach einer Operation oder Hormonbehandlung aber später bereuen könnten. Es ist eine Kontroverse: Wann ist sich ein Kind oder Jugendlicher über die eigene Identität sicher?

Backen statt Bolzen

Maria Kohl-Mancini hatte schon in der Kindheit bemerkt, dass sie anders ist. Statt mit den Jungen seines Alters Fußball zu spielen oder herumzutoben, half Stephan lieber der Mutter beim Haushalt. Wäre damals schon entdeckt worden, dass er eigentlich ein Mädchen ist, wäre Maria Kohl-Mancini nach eigener Aussage viel Leid erspart geblieben und sie wäre auch heute zufriedener. Denn ohne männliche Pubertät würde sie weiblicher aussehen. Befürchtungen, dass das neue Gesetz zum Missbrauch einladen könnte, teilt die Illertisserin nicht: "Dass eine große Zahl an Männern mit irgendwelchen Fantasien extra zum Standesamt geht, um einen Wechsel anzumelden, das halte ich doch für weit hergeholt."

Sie sorgt sich, dass durch den neuen Gesetzentwurf Transpersonen grundsätzlich mit Argwohn begegnet wird. Dabei sei die Gesellschaft schon viel weiter. "Als ich damals wieder die Praxis eröffnet hatte, kamen sogar mehr Leute", erzählt Kohl-Mancini. "Übrigens auch die katholischen Padres. Und hin und wieder wurde ich noch als Herr Doktor angesprochen."

💡 Was ist das Selbstbestimmungsgesetz?

Das Selbstbestimmungsgesetz soll es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen erleichtern, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Ein Gericht muss nicht mehr darüber entscheiden, es reicht eine Erklärung beim Standesamt. Betroffene müssen auch keine zwei Gutachten von Sachverständigen einholen. Das Gesetz soll das Transsexuellengesetz ersetzen, das über 40 Jahre alt ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte mehrfach Teile als verfassungswidrig eingestuft und die im Grundgesetz verankerte geschlechtliche Selbstbestimmung betont. In 15 Ländern gibt es bereits ein vergleichbares Gesetz. Argentinien machte 2012 den Anfang, es folgten unter anderem Dänemark, Belgien, Irland, Portugal, Norwegen oder der Schweiz. Der Bundestag entscheidet über das Selbstbestimmungsgesetz, es soll voraussichtlich im November 2024 in Kraft treten.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!