Sankt Martin

Über den liebenswürdigen Heiligen, der heute so folkloristisch gefeiert wird, habe ich schon mehrmals geschrieben.

Kirchengeschichte zum Martinstag habe ich in meiner Studienzeit gelernt.

Einen Choral habe ich auch für ihn geschrieben.

St. Martin
Melodie: Großer Gott, wir loben dich

Martin mußte lange Zeit
Als Soldat des Kaisers leben.
Waffen und Soldatenkleid
Trug er nur mit Widerstreben,
Wollte, statt im Heer zu stehn,
Jesu Friedenswege gehn.

Als er um den Abschied bat,
Ließ der Kaiser ihn nicht ziehen,
Sprach von Feigheit und Verrat.
Martin sprach: „Ich will nicht fliehen,
Doch auch Blut vergießen nicht:
Christus ist mein Friedenslicht.“

„Ohne Waffen laß mich gehn,
Ohne Furcht vor Kriegsgefahren.
Wehrlos will vorm Feind ich stehn,
Jesu Kreuz wird mich bewahren.
Jesus ist mein guter Hirt,
Der den Frieden schaffen wird.“

Bischof Martin folgte Gott,
Tat und lehrte Sein Erbarmen,
Teilte gerne in der Not
Brot und Wissen mit den Armen.
Eigne Not galt ihm gering,
Bis sein Weg zu Ende ging.

„Herr, es ist ein harter Streit,
Deinen Dienst zu tun im Leben.
Und ich kämpfte lange Zeit!
Willst Du mir nun Abschied geben,
Ruh ich gern, doch auf Dein Wort
Führ ich Deine Sache fort.“

Martins tapfrer Lebenslauf
Ist im Frieden ausgeklungen.
Gott nahm Seinen Diener auf,
Engel haben ihm gesungen,
Trugen ihn nach Leid und Streit
In die lichte Ewigkeit.

© Claudia Sperlich

Und angesichts der alljährlichen Martinsgaudi schrieb ich:

Ach Martin

Martin, ach, Laternenlicht
wär dir wohl noch recht geworden,
auch die lauten Kinderhorden,
aber Heidentum doch nicht!

Nur Kostümfest und Geschrei,
Glühwein dann und Würstchenessen,
kannste als Asket vergessen,
wärste eh nicht gern dabei!

Martin, trotz der Feierei
ohne Glaubensgrund und Wissen
wollen wir dich doch nicht missen –
steh uns armen Toren bei!

Bitt für uns mit frommem Sinn,
Gott woll uns den Tand vergeben!
Laß die armen Gänse leben,
den Klamauk nimm freundlich hin,

hilf, die Großen wachzurütteln,
bis sie sich zu Gott gewandt,
nimm die Kleinen bei der Hand!
Sonst ist dieses Fest zum Schütteln.

© Claudia Sperlich

Und wie war das nun mit dem Mantel?

Jeder Offizier besaß einen Mantel, bestehend aus einem anliegenden Oberteil und einem darangesetzten Unterteil, einer Art Rockschoß. Das Oberteil wurde vom römischen Heer gestellt. Das Unterteil hatte der Soldat selbst zu besorgen. Was Martin – der nur widerstrebend dem Militär angehörte – tat, war nicht nur gütig, es war auch subversiv.
Das Oberteil konnte er nicht weggeben, es gehörte ihm ja nicht. Aber das Unterteil konnte er verschenken – damit war zwar der Mantel zerstört, und sicher hat ihm das neben dem Gespött der Kameraden auch eine Disziplinarstrafe eingetragen, aber es war kein Eigentumsdelikt, und der Bettler hatte etwas, um sich einzumummeln.

Das lateinische Wort gladius wird üblicherweise mit Schwert übersetzt. Bei diesem Wort denken wir meist an eine Langwaffe; tatsächlich bezeichnete es in den ersten Jahrhunderten der Christenheit (und vorher) ein einschneidiges Kurzschwert, dessen Länge variierte. (So hat Petrus, als er bei Jesu Festnahme zum gladius griff, auch nicht mehr gehabt als eine Art Taschenmesser – wie man heute legal im Anglerbedarf kaufen kann.)
Man kann sich das leicht klarmachen. Mit einer Langwaffe eine Naht auftrennen, ohne wesentlich mehr kaputtzumachen, oder auch jemandes Ohr abschlagen, ohne daß es zugleich den Rest des Kopfes trifft – das ist praktisch unmöglich. Mit einem größeren Taschenmesser geht das schon leichter. (Lassen Sie, geneigter Leser, es trotzdem bleiben, jedenfalls das mit dem Ohr. Das mit dem Mantel ist schon in Ordnung.)

Martin, als Offizierssohn zwangsverpflichtet und selbst Offizier, aber ohne Freude daran, interessiert sich seit seiner Schulzeit für das Christentum. Beim Militär wird das nicht gern gesehen, er ist trotz seines hohen Postens ein Außenseiter.
Er sieht einen Bettler am Straßenrand. Denkt vielleicht: Ach, meine Luxusprobleme – dem hier geht es wirklich miserabel. Spontan fasst er den Entschluss, zu helfen, will am liebsten den Mantel als Ganzes weggeben – aber das geht nicht, ruft er sich zur Ordnung, der Mantel gehört mir ja nicht… das heißt: Die Hälfte gehört mir schon! Steigt vom Pferd, setzt sich neben den Bettler (die Kameraden gucken schon komisch!), zieht den Mantel aus, nimmt das Dolchmesser her und trennt mit heimlichem Grinsen (Die werden sich wundern in der Kaserne!) die Naht auf. Legt dem Bettler das Unterteil des Mantels – nun einfach ein großes rechteckiges Stück roten Wollstoff – um die Schultern: Hier, du sollst ja nicht frieren!
Zieht das Oberteil wieder über – es schließt nun in Hüfthöhe ab mit ausgefranster Kante und wirkt ziemlich albern. Die Leute gucken komisch. Und Martin strahlt übers ganze Gesicht und betet im Stillen: Danke, Herr! Beschütze den Bettler – und bitte, lass mich meine Vorgesetzten ertragen, egal was sie tun.
Der Bettler fühlt auf der Haut den soliden, dicken Wollstoff. Warm. Und rot. Martin schaut zurück und denkt: Der Herr hat auch einen roten Mantel umgehabt – von einem Soldaten.

Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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