Die Uhren werden umgestellt

29. März 2014


Die Uhrumstellung folgt dem Paradigma der ökonomischen Verwertung von Zeit. Drei Gedanken dazu.

1. Zeit geriet durch die Entwicklung der Zeitmessung vom Naturzustand unterschiedlichen Zeiterlebens in den Zustand der gleichförmigen wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Seit Beginn der Neuzeit wird Zeit mit Geldwert in Verbindung gebracht und einheitlich bemessen. Die Rhythmik der Zeit ist einer Monotonie gewichen, in der kaum noch zwischen Tag und Nacht, Werk- und Sonntag unterschieden wird. Die Struktur des Tages, die Jahrhunderte hindurch von Gebetszeiten bestimmt wurde (Stundengebet), ist aufgehoben: „The city never sleeps“. Die wirtschaftliche Nutzung der Zeit, ihre Stückelung in vermeintlich gleichwertige Abschnitte und die Kontrolle über ihre Verwertung im Sinne des Effizienzgedankens haben die Industrialisierung vorangetrieben (Schichtproduktion) und – durch eine immer weiter vorangeschrittene Verdichtung der Zeit – die Informationsgesellschaft hervorgebracht, die in Lichtgeschwindigkeit Daten als ökonomische Güter handelt.

2. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ergibt sich damit ein Problem für den weiteren wirtschaftlichen Umgang mit der Zeit: Sie lässt sich nicht weiter verdichten, denn es geht nicht schneller als in der Lichtgeschwindigkeit des Internet. Der Herausforderung optimaler Nutzung von Zeit kann die Wirtschaft bei gegebener Duration heute also nicht mehr im Rahmen gesteigerter Sukzessivität (Verdichtung durch Beschleunigung), sondern nur durch progressive Simultanität (Parallelisierung) gerecht werden. Zudem kann durch Anpassung (also: Umstellung) der Wert eines Zeitabschnitts gesteigert werden, etwa dadurch, dass mehr und länger andauernde Helligkeit in Phasen der „Freizeit“ zu Handlungen veranlasst, die sonst unterblieben. Denn: Auch – und gerade – Freizeit gehört zum Verwertungskalkül eines ökonomischen Umgangs mit Zeit.

3. Der Versuch der neuen Ökonomie, Wachstum nicht mehr über Beschleunigung, sondern über Parallelisierung (multi tasking, cross selling, permanente Erreichbarkeit) zu generieren, wirft Probleme der Überforderung, Abhängigkeit und ökonomischen Ungerechtigkeit auf. Die Kritik an der Zeitparallelisierung bezieht sich auf die Qualität des wirtschaftlichen Produkts, dem keine Reifung mehr vergönnt ist (zu kurze Entwicklungszeiten technischer Produkte), auf die im vorherrschenden Trend noch mehr aufgehobene Strukturiertheit des menschlichen Lebens (24-Stunden-Gesellschaft), auf die vom zusammenbrechenden Sozialsystem weiter forcierte Vereinzelung des zeitlich zur absoluten Flexibilität genötigten „Simultanten“ (Ego- / Single-Gesellschaft), insbesondere aber auf die gesundheitlichen Risiken durch die hohe Belastung des Parallelitätsdrucks, die sich aus der Zerrissenheit zwischen dem Hier der physischen und dem Dort der psychischen Präsenz ergeben.

(Josef Bordat)

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