Ratgeber Kirchenkritik. Kapitel eins: So nicht!

4. Januar 2011


Ich finde Sticheleien gegen die Kirche und den Papst nicht schon deswegen schlecht, weil es Sticheleien sind, sondern erst dann, wenn diese auf völlig falschen Vorstellungen beruhen. Auch Kritik an Kirche und Papst muss begründet sein. Idealerweise nicht durch Klischees, sondern durch Fakten. Christian Schwägerl zeigt, wie es nicht geht.

Meine Kritik trifft den vorliegenden Text sicherlich überproportional, aber ich finde diese Masche, in größter Selbstverständlichkeit und mit dem gleichen ankonditionierten Reflex, aus dem heraus man in der DDR seine Dissertation mit einem Lenin-Zitat zierte, ein beiläufiges „Und übrigens bin ich der Meinung, dass die Kirche, der Vatikan, der Papst…“ (setze Klischee ein, verzichte auf Begründung!) in jeden x-beliebigen Sachtext einzubauen, ich finde diese Art von Gehorsam gegen Zielgruppe und Zeitgeist, ja, wie finde ich sie? Zum Kotzen? Das trifft es, so ungefähr.

Nur eins finde ich noch übler: Dass wir als Christen, als Katholiken uns längst daran gewöhnt zu haben scheinen, die Prügelknaben dieser Welt zu sein und statt Gegendarstellungen selbst bei den haltlosesten Vorwürfen nur noch Entschuldigung stammeln und uns unseres Glaubens schämen. Das ist nicht nur schlecht, es ist auch falsch. Alipius hat kürzlich in einem sehr schönen Beitrag zum Ausdruck gebracht, warum wir uns nicht zu schämen brauchen. Ich bin ganz seiner Meinung. Daher dieser Zwischenruf.

1. Vor einem durchaus ernsten Hintergrund, nämlich der ökologischen Krise unserer Tage, die wir mit dem Schlagwort „Klimawandel“ diskursiv zu bändigen versuchen, entwirft der Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl in seinem Buch „Menschenzeit“ ein Zukunftsszenario in programmatischer Absicht, das – soweit wird man ihm wohl folgen können – den Menschen in die Verantwortung nimmt, das aber trotzdem nicht überzeugen kann, denn die ihre eigenen Voraussetzungen nicht weiter problematisierende Darstellung eines wissenschaftlich-technischen Zukunftsidylls leidet an allzu groben Zügen und überzogener Spekulier- und (an einigen Stellen) auch Fabulierlust. Menschenzeit“ ist das Ergebnis eines Schreibprozesses, bei dem mindestens so viel aus- wie nachgedacht wurde. Ganz besonders gilt dies für einen kurzen Abschnitt zu Religion und Kirche.

Im folgenden geht es mir nicht um die Hauptaussagen des Buchs (eine Rezension, die sich damit beschäftigt, habe ich hier veröffentlicht), sondern um jene unschöne Randerscheinung, auf unsäglichem Niveau noch unterhalb jedes handelsüblichen Stammtisches Stereotype zu nutzen, um der gleichfalls uninformierten Zielgruppe ihre Feindbildtrias „Kirche, Vatikan, Papst“ vorurteilsgerecht aufzutischen. In einer Mischung aus vermeidbaren Missverständnissen, gespielter Naivität und gezielter Desinformation kriegt – ganz nebenbei – die katholische Kirche als eigentliche Quelle allen Übels ihr Fett weg, ganz nach dem Journalisten-Motto: Es muss nicht wahr sein, sondern stimmen. Es muss passen. Und was nicht passt, wird passend gemacht.

Es geht mir um die Seiten 159 bis 163 des Buches, ein kleiner Abschnitt in dessen Mitte, der in seiner abgrundtiefen Dämlichkeit typisch ist für (offenbar) kirchenferne Autoren, die trotzdem (oder deshalb) über Kirche, Vatikan und Papst sprechen.

Auch wenn es in der potentiellen Zielgruppe zum guten Ton gehören mag, immer mal wieder so wahrheitswidrig wie beiläufig gegen die Kirche als Universalfeindbild des modernen Menschen zu polemisieren, schadet der Autor mit dieser wohlfeilen Darstellung ganz erheblich seiner Seriosität, weil jeder Mensch mit Internetanschluss binnen weniger Minuten Recherche die (höflich gesagt) „Ungereimtheiten“ der schwägerlschen Behauptungen aufdecken kann. Die Passage über Kirche und Papst ist leider so haarsträubend tendenziös und fehlerhaft, dass eine detaillierte Auseinandersetzung den Rahmen einer Rezension sprengen würde, doch zugleich ist das Vorgehen Schwägerls so frappierend typisch für mediale Darstellungen zu Kirche und Papst, dass eine gesonderte Betrachtung geboten ist. Diese soll nun erfolgen.

2. Gängige, scheinbar gar nicht mehr begründungspflichtige Klischees („Vatikan, dieses Symbol von Weltferne und Erstarrung“), Unkenntnis zentraler Glaubensinhalte (das Christentum sei die „Lehre von einem Gott, der bei Wohlverhalten gebetete Wünsche erfüllt“, S. 159) und grobe Missverständnisse zum Wesen und zu den Aufgaben der Kirche (sie sei auch nur eine Art Partei oder Firma, die „in ihren Reihen“ bzw. „in ihrem weltweiten Filialnetz“ Beschlüsse durchsetzt, S. 162) wechseln sich in Schwägerls Einlassungen zu Kirche, Vatikan und Papst munter ab. „Dilletantischer Pfusch“ – wie wahr.

Die hohe Dichte an Dämlichkeiten passt so gar nicht zur gespielten Souveränität, die einer Randbemerkung charakteristischerweise innewohnt, und zur überheblichen Diktion des Textes. Bar aller belastbaren Fakten erschöpft sich der Autor in Schuldzuweisungen und Vorwürfen. Dem Leser muss klar werden: Religion ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, denn schon der böse Finanzkapitalismus entstieg der (christlichen) Religion (S. 160). Hier schafft es der Autor sogar, die Kreuzzüge zu erwähnen! Respekt. Pikanterweise fordert er später in Analogie zu humanitären Interventionen „Grünhelm“-Einsätze zum Schutz der Umwelt, ohne das Interventionsthema zu problematisieren und ohne sich freilich darüber im Klaren zu sein, dass der zitierte Erste Kreuzzug, gemessen an den Kriterien des Kosovo-Kriegs 1999, eine ebensolche humanitäre Intervention war.

3. Apropos: Intervention. Wenn sich Klischee und Feuereifer paaren, kommt Absurdes raus, das wissen wir. Aber was dann zu lesen ist, haut dann doch dem Fass den Boden raus: „Was hat die Bank des Heiligen Geistes getan, als das katholische Ecuador anbot, das Erdöl unter einem der artenreichsten Regenwälder der Welt ungenutzt im Boden zu verkaufen, sodass der Wald stehen bleibt?“ (S. 162)

Nicht nur, dass die Vatikanbank nicht „Bank des Heiligen Geistes“ heißt (offenbar eine Anspielung auf die frühneuzeitliche „Banco di Santo Spirito“, die 1992 von der „Banca di Roma“ übernommen wurde, die ihrerseits seit 2002 einen Teil der „Capitalia“ bildet, die wiederum 2007 von „Unicredit“ geschluckt wurde – mit dem Vatikan hat das freilich alles schon lange nichts mehr zu tun), sondern „Istituto per le Opere di Religione“ (IOR, der Name ist Programm) und ganz abgesehen davon, dass Ecuador laizistisch ist (Artikel 1 der Verfassung von 2008), nein, der eigentliche Korken wird mit der in Frageform ausgedrückten Forderung selbst geschossen. Aber klar, der trilliardenschwere Vatikan kann in solchen Schürfrechtsangelegenheiten quasi aus der Portokasse mit den anderen Bietern (ärmliche Tankwarte wie Exxon, Shell, BP und so weiter) konkurrieren und ganz nebenbei ein paar Liter Öl kaufen, damit ein Stückchen Wald stehen bleibt. Find‘ ich auch, kann er doch mal machen, der Vatikan! Vielleicht kann er, der Vatikan, auch bei der nächsten Firmenübernahme mitbieten, wenn und weil Arbeitsplätze gefährdet sind (Katholische Soziallehre!). Überhaupt: Wieso lässt der Vatikan den Absturz von Währungen zu? Die Finanzkrise? Den Welthunger? Das Loch im NASA-Budget? Ist doch alles kein Thema, Vatikan! – Die Wahrheit ist: Allein der Gewinn von BP im (Finanzkrisen-)Jahr 2009 war – bei einem Umsatz von rund 240 Mrd. US-Dollar – mit rund 14 Mrd. US-Dollar fast viermal so hoch wie das Vermögen der IOR, deren Jahresüberschuss auf 30 bis 40 Mio. US-Dollar geschätzt wird. Damit liegt der BP-Überschuss 2009 um den Faktor 350 bis 470 höher. Heißt: BP verdient jeden Tag mehr als der Vatikan im ganzen Jahr.

Ich will hier keine Lehrvorträge über den Unterschied zwischen Vermögen, Umsatz und Gewinn halten, ich glaube auch gar nicht, dass das nötig ist, denn die Forderung ist für jeden erkennbar schlicht absurd. Das ist etwa so, als werfe man der Schweizer Garde vor, den Ersten Weltkrieg nicht verhindert zu haben. Oder den Zweiten. Oder beide. Oder als werfe man dem Papst vor, den Holocaust nicht verhindert zu haben. Obwohl… Lassen wir das. Zumindest sei zugestanden, dass der Autor in Sachen „Absurde Vorwürfe gegen die Kirche“ nicht allein dasteht.

Der eigentliche „Witz“ ist aber: Ecuador hat längst der Forderung zugestimmt, das Öl unter seinem Regenwald nicht zu fördern bzw. die Förderrechte an BP o. a. zu verkaufen – aus Gründen des Klimaschutzes. Dafür lässt sich die Andenrepublik, die für ihre wirtschaftliche Entwicklung auf das Öl-Geschäft angewiesen ist, mit Summen entschädigen, die selbst Rohöl-Kaufleute blass werden lässt. Der „Erwerber“ der Förderoption ist denn auch kein geringerer als die Weltgemeinschaft. Präsident Rafael Correa reist um die Erde und kassiert hier ein paar Milliarden und dort ein paar hundert Millionen. Immer mit dem Verkaufsargument: Wenn ihr nicht zahlt, fördern wir. Das kann man erpresserisch nennen, ich finde das völlig in Ordnung. Doch vor diesem Hintergrund wird es noch absurder, dem Vatikan vorzuwerfen, bei diesem Deal nicht mitzumischen. Wenn man 10 Prozent eines üblichen IOR-Jahresüberschusses (übrigens: Gerüchten zufolge machte die IOR in den letzten Jahren keinen Gewinn) in die Hand genommen hätte, dann wären das 3 bis 4 Millionen US-Dollar gewesen. Ich glaube, hier darf man dann zu Recht von „Peanuts“ sprechen.

Also: „Was hat die Bank des Heiligen Geistes getan, als das katholische Ecuador anbot, das Erdöl unter einem der artenreichsten Regenwälder der Welt ungenutzt im Boden zu verkaufen, sodass der Wald stehen bleibt?“ (S. 162) – Antwort: Nichts. Weil sie nichts tun konnte und nichts tun musste, weil die, die können, also die USA, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland und andere wohlhabende Gemeinwesen, die gewohnt sind, in Milliarden zu rechnen, längst taten, was zu tun war. Mit der gleichen Logik könnte man auch andere Mikrostaaten zur Verantwortung ziehen. Doch um Logik scheint es nicht zu gehen. Dass Schwägerl suggeriert, durch den Geiz geldgeiler Banker im Vatikan, der offenbar einzigen Rettung des Planeten, und wegen der allgemeinen ökologischen Blindheit der Kirche würden nun riesige Regenwaldflächen abgeholzt, die man, also der Papst, hätte erhalten können, ist vor diesem Hintergrund ziemlich perfide.

4. Dass die Kirche weder Partei noch Firma ist, in der nach Lage der Dinge immer mal wieder Programme verabschiedet und vornehmlich Wirtschaftsgüter gehandelt werden (und sei es auch für den „guten Zweck“), ist dem Autor ebenso entgangen, wie die Tatsache, dass viele seiner Forderungen längst Jahrhunderte alte (im Szene-Jargon: „verstaubte“) kirchliche Traditionen sind, wie etwa der freitägliche Fleischverzicht und das Fasten im Allgemeinen, das seit den 1970er Jahren auch als „Autofasten“ bekannt und verbreitet ist. Dafür braucht die Kirche keinen Klimawandel und schon gar keine naseweisen Journalisten als Ratgeber, die so etwas von außen einfordern und damit auch noch so tun, als sei das eine innovative Idee. Die Abstinenz von Fleischspeisen an allen Freitagen des Jahres (bewegliche Hochfeste, die auf einen Freitag fallen, ausgenommen) sowie an Aschermittwoch und Karfreitag ist Kirchenrecht (Can. 1251 CIC). Der Tipp, doch endlich mal darüber nachzudenken, offenbart die erschreckende Unkenntnis des Verfassers. Seine Hinweise zu „Autofasten, Fleischverzicht, echtes Teilen mit den Armen“ (S. 162), die man als „Ansatzpunkte“ bedenken sollte, kommt Jahrzehnte („Autofasten“) bzw. Jahrhunderte („Fleischverzicht“) zu spät.

Bleibt das „echte Teilen mit den Armen“. Oh, ja. Das Lieblingsthema der cognacschwenkenden Salon-Sozialisten im Schaumbad staatlicher und halbstaatlicher Alimentation: Die Kirche hat alles, tut aber nichts. Für sie malt Schwägerl das Bild des „in ultraleichten roten päpstlichen Wanderschuhen“ (S. 162) um die Erde ziehenden Papstes, der sich endlich mal um die Armen kümmert. Dass die Kirche mit Hunderttausenden Priestern, Ordensleuten und Laien jeden Tag bei den „Ärmsten schläft“ (S. 163) und dass der Papst ihnen dabei als Hirte Kraft gibt, passt offenbar nicht ins revanchistische Weltbild eines Öko-Fanatikers. Ja, revanchistisch, denn: Bei all dem kann es freilich nur um „überfällige Wiedergutmachung“ (S. 162) gehen, nachdem es schließlich die katholische Kirche war, die den Planeten ökonomisch und ökologisch zugrunde gerichtet hat.

Interessant immerhin, dass die Einmischung des Vatikan in Politik und Wirtschaft plötzlich erwünscht ist, wo doch sonst das Laizisten-Gekreische jede Wortmeldung der Kirche zu übertönen versucht. Interessant, dass das „Durchsetzen“ von kirchlicher Lehre bei den Gläubigen (S. 162) plötzlich keine Repression mehr darstellt. Man bekommt den Eindruck: Solange der Papst nach der Öko-Pfeife tanzt, darf er scheinbar alles. Das ist interessant – und entlarvend.

Angesichts von 200 Millionen verfolgten Christen weltweit und angesichts des vehementen Einsatzes für Religionsfreiheit seitens Papst Benedikts (jüngst in der Botschaft zum Weltfriedenstag 2011 und in der Predigt am Neujahrstag), kann die Bemerkung Schwägerls, ein künftiger Papst solle seine „Domizile zum Asyl für verfolgte Christen umbauen“ (S. 162), wohl nur, wenn man nicht gleich Zynismus unterstellen mag, gröbster Unkenntnis und Naivität zugeschrieben werden, in jedem Fall schreit aus ihr die ganz typische Ignoranz derer, die „Ich bin aufgeklärt!“ für ein Sachargument halten. Gerade auch vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse im Irak und in Ägypten schmerzt eine solche Bemerkung sehr. Ich nehme zugunsten des Autors an, dass sie nicht ernst gemeint ist.

5. Sicherlich ernst gemeint ist aber die Position, dass die christliche Lehre vom göttlichen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, die ökologische Katastrophe erst möglich machte, so dass die Kirche hier „unter Erneuerungsdruck“ stehe. Was Schwägerl unter „Erneuerung“ versteht, ist entweder ein mehr oder minder alter Hut (Fleischverzicht, Autofasten) oder aber grober Unfug, was schon an der Leitfrage ersichtlich wird: „Können sie“, so fragt er mit Blick auf die „christlichen Kirchen“, dabei aber in der Hauptsache an die katholische Kirche denkend und – bloß kein Klischee auslassen! – an die „bibeltreuen Evangelikalen Amerikas“, also: „Können sie ihren Glauben auf eine Weise weiterentwickeln, der Geist nicht gegen Materie und Mensch nicht gegen Natur ausspielt?“ (S. 161) Den Satz muss man nicht nur wegen seiner Syntax, sondern auch wegen seiner Semantik mehrmals lesen. Danach stellt man fest, dass nichts dran ist, an den Dichotomien, zumindest nicht aus katholischer Sicht.

Die katholische Theologie hat nie Geist gegen Materie ausgespielt. Die Kirche hat immer betont, dass es letztlich auf den Geist ankommt, ja, und hat zudem einen plumpen Materialismus verurteilt, auch richtig, doch ihre sinnliche, stoffliche Liturgie, ihre Betonung des Körpers als „Tempel des Heiligen Geistes“, ihre Lehre von der leiblichen Auferstehung sind alles andere als das Ergebnis einer Geringschätzung der Materie. Dass das Christentum mit seiner Lehre gezielt „die materielle Welt verächtlich macht, um sie hemmungsloser ausnutzen zu können“ (S. 161), ist Unsinn, zumal auch diejenigen, die die „materielle Welt“ vergötzen, nicht vor Umweltverschmutzung gefeit sind, wie man an den Beispielen Sowjetunion und China leicht erkennen kann, wenn man denn will.

Die auf der Lehre Jesu basierende christliche Lebensschutzethik umfasst auch die nicht-humane Umwelt, ohne dabei die nicht bloß graduellen, sondern prinzipiellen Unterschiede zwischen Mensch und Tier zu verwischen. Wenn wir uns also in einer „Demokratie von Mitgeschöpfen“ (Whitehead) sehen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass diese nicht zur Anarchie gerät oder, weit schlimmer, zur Öko-Diktatur, die das unterdrückt, was sie zu schützen vorgibt: Leben. Was auch bedeutet, den Umweltschutz nicht über die Menschenwürde zu stellen. Bleiben wir mal beim oben erwähnten Fleischverzicht. Eine Gesellschaft, in der eine Grillparty moralisch geächtet, eine Spätabtreibung aber moralisch erwartet wird, sobald der werdende Mensch behindert ist, scheint mir aus christlicher Sicht keine gute Gesellschaft zu sein. Klimawandel hin oder her.

Auch den Mensch-Natur-Gegensatz wird nur erklärbar durch ein falsches Bild von der Schöpfungstheologie. Aus dem Bild des Menschen als „Krone der Schöpfung“ erwächst zunächst Verantwortung, sodann eine Herrschaft über die Erde, die vor Gott und dem Menschen zu verantworten ist.

Längst ist die „biophile und ökologische Grundhaltung“ (Schockenhoff) in der katholischen Moraltheologie als Tugend erkannt worden und prägt die Lehre und Praxis der Kirche. Davon weiß der Verfasser offenbar nichts. Er weiß nichts von klimaneutralen Kirchentagen und nichts vom Umweltengagement der bischöflichen Hilfswerke „Adveniat“ und „Misereor“, deren Fasten-Aktion 2009 den Folgen des Klimawandels gewidmet war.

6. Ja, ja, die Basis. Aber der Papst? Gerade der! Benedikt gilt als „grüner Papst“ – so nennen ihn US-Diplomaten unter der Hand, wie die Plattform „Wikileaks“ kürzlich enthüllte. Auch der „grüne Papst“ (S. 162) ist also schon längst da und muss nicht erst in Oberlehrermanier eingefordert werden. Und wem das Urteil von US-Diplomaten nicht reicht, lese sich die Verlautbarungen des Papstes durch, die jüngste Enzyklika „Caritas in veritate“ (2009), in der Benedikt die drängenden Fragen der Ökonomie und Ökologie aus der Sicht des Menschen als Abbild Gottes, mit der Option für die Armen als Stellvertreter Christi und im Bewusstsein unserer Verantwortung für die Schöpfung beantwortet. Oder auch die Botschaft zum Weltfriedenstag 2010, die unter dem Leitwort stand: „Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung“. In dieser heißt es: „Wie könnte man gleichgültig bleiben angesichts von Phänomenen wie dem globalen Klimawandel, der Desertifikation, der Abnahme und dem Verlust der Produktivität von großen landwirtschaftlichen Gebieten, der Verschmutzung von Flüssen und Grundwasser, dem Verlust der Biodiversität, der Zunahme von außergewöhnlichen Naturereignissen und der Abholzung in tropischen Gebieten. Wie könnte man das wachsende Phänomen der sogenannten ,Umweltflüchtlinge’ übergehen: Menschen, die aufgrund der Umweltschäden ihre Wohngebiete – oft auch ihr Hab und Gut – verlassen müssen und danach den Gefahren und der ungewissen Zukunft einer zwangsmäßigen Umsiedlung ausgesetzt sind? Wie könnte man untätig bleiben angesichts der schon bestehenden und der drohenden Konflikte um den Zugang zu den natürlichen Ressourcen?“ Nicht zuletzt hat Benedikt in seinem Buch „Jesus von Nazareth“ (2007) ausführlich den ökologischen Jesus beschrieben. Statt sich in Gemeinplätzen aus den Windungen einer primitiven Phrasendreschmaschine zu ergehen, hätte der Verfasser aus Benedikts Texten zitieren können. Doch davon schweigt Schwägerl.

Und weiter? Alles nur leere Worte, so wie immer? Nein. Wie ernst es gerade dem amtierenden Papst mit der Umwelt ist, zeigen nicht nur seine Verlautbarungen, sondern auch seine Taten: Er ließ eine Solarstromanlage von der Größe eines Fußballfeldes im Vatikan errichten. Jedes Jahr werden damit rund 220 Tonnen Kohlendioxid-Emissionen eingespart. 2008 erhielt der Vatikan dafür den „Europäischen Solarpreis“. Selbst der Alt-Linke und Alt-Öko Franz Alt erkannte seinerzeit: Der Papst wird grün und „hat vorgemacht, worauf es ankommt“. Das ist wahr: Die Kirche ist Vorreiterin in Sachen Klimaschutz.

Aber dass Papst Benedikt handelt, reicht natürlich nicht, er muss auch auf Kommando Reden schwingen, damit die Presse zufrieden ist. So bemängelt Schwägerl zur Krönung, dass der Papst „als Staatsoberhaupt des Vatikan“ in Kopenhagen fehlte (S. 161 f.). Verschwiegen wird, dass der Vatikan sehr wohl mit einer ranghohen Vertretung in Kopenhagen war, die sich dort nachdrücklich für „schnelle und wirksame Lösungen“ im Kampf gegen den Klimawandel einsetzten. Kirche ist eben nicht nur Papst. Verschwiegen wird auch, dass sich Papst Benedikt vor und nach der Konferenz ausführlich geäußert hat. Vorher hatte Benedikt gesagt, er erwarte von der Konferenz wirksame Maßnahmen zum Schutz der Schöpfung und zu einer solidarischen Entwicklung, die sich auf die Menschenwürde gründeten und auf das Gemeinwohl ausrichteten. Er hatte an die Teilnehmer appelliert, nationale Interessen und kurzfristige Vorteile zugunsten langfristiger Strategien für die gesamte Staatengemeinschaft zurückzustellen. Nachher machte der Papst deutlich, dass er mit dem Verlauf und dem Ergebnis des Klimagipfels keineswegs zufrieden ist. Beim Neujahrsempfang 2010 für das beim Vatikan akkreditierte Diplomatische Corps drückte er seine „große Sorge“ über die „politischen und wirtschaftlichen Widerstände gegenüber dem Kampf gegen die Umweltverschmutzung“ aus, wie sie in Kopenhagen zutage getreten seien. Mit dem Klimawandel stehe das Schicksal ganzer Länder auf dem Spiel, betonte der Papst, insbesondere der kleinen Inselstaaten. Er rief die internationale Gemeinschaft erneut in klaren Worten zum Handeln auf. Also: Man muss nicht nach Kopenhagen fahren, um Farbe zu bekennen.

Dass ein Papst, der handelt, statt sich in Selbstgerechtigkeit zu sonnen und jede kleinste gute Tat medial auszuschlachten, für sein „Schweigen“ abgestraft wird, ist schon einmal passiert (s. oben). Deswegen ärgert es mich ganz besonders, dass über das Engagement Benedikts kein Wort verloren wird und der Autor statt dessen wieder seine unverschämte rhetorische Frage stellt: „Wo war der Papst als Staatsoberhaupt des Vatikan auf dem Klimagipfel von Kopenhagen, als die Chance bestand, einer Verätzung, Erhitzung und Verarmung der Schöpfung vorzubeugen?“ Antwort: Nicht da! Wer trägt also die Schuld für das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen und für die in Aussicht stehende „Verätzung, Erhitzung und Verarmung der Schöpfung“? Richtig! Und schon ist China, des Linken historischer Liebling, aus der Schusslinie.

7. Das eigentliche Problem vermutet Schwägerl unterdessen nicht bei Papst, Vatikan und Kirche, sondern im Glauben selbst. Wer – aufgepasst! – überhaupt noch Jemanden über sich kennt und anerkennt, verbaue dem Menschen die „aufgeklärte Herrschaft“ über die Erde und sorge dafür, dass weiter „dilettantisch gepfuscht“ werde (S. 161). Offenbar gibt es für Schwägerl nur diese beiden Alternativen: Wissenschaft sorgt für „aufgeklärte Herrschaft“ (gut), Religion, vor allem die katholische Kirche, für „dilletantischen Pfusch“ (schlecht). Fazit: Erkenne bloß niemanden über Dir an, das schadet der Umwelt! Ein Hinweis darauf, dass Christen irgendwie hinterwäldlerische Vollidioten sind, darf in diesem Kontext natürlich nicht fehlen: „Schon lange ist nicht mehr die Frage, ob die Sonne sich um die Erde dreht“ (S. 162) meint Schwägerl süffisant und suggeriert damit, dass dies genau die Art von Frage ist, die die Kirche derzeit umtreibt. Bodenlos!

Ganz tief blicken lässt auch die Analyse der christlichen Auffassung vom Leben als Pilgerfahrt, die auf der Erde beginnt und in die Vollendung führt. Dies habe „bisher erschwert, die Erde als wirkliche Heimat und nicht nur als Rastplatz auf dem Weg ins Jenseits zu besiedeln“ (S. 162). Die Kirche als Erfinderin der „Nach mir die Sintflut“-Mentalität? Klar, es gibt im Christentum ja auch keine Rechtfertigung vor Gott, keinen Gott als Schöpfer, dem man sich und die Welt verdankt, keinen Ausdruck des Danks im Umgang mit dem Geschenk. Gibt es alles nicht. Es gibt nur Ausbeutung. Die Frage, die sich selbst ein Journalist stellen muss, lautet: Ist es wirklich plausibel zu erwarten, dass der Mensch im Glauben, die Erde gehöre ihm als „wirkliche Heimat“, ökologischer verhält als der Mensch im Glauben, die Erde gehöre jemandem, vor dem er einst Rechenschaft ablegen muss über seine „Rast“? Offensichtlich ist es nur plausibel, wenn man dem Christentum in Gänze eine Endzeiterwartung andichtet, die mit der Vorstellung eines bereits im Hier und Jetzt beginnenden „Reich Gottes“ nichts zu tun hat, einer Vorstellung, die in der kirchlichen Verkündigung zum täglichen Brot gehört. Aber statt hier zu differenzieren zwischen Endzeitsekten und einer Katholischen Kirche, die weltweit ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung vor Gott und dem Menschen gerecht wird, wird polemisch Stimmung gemacht: „Die Erwartung einer Apokalypse, bei der Gott die Erde zerstört, hat zur ganz ungöttlichen Erdzerstörung beigetragen. Das Denken, dass das Ende ohnehin nahe ist, hat den endlosen Ressourcenverbrauch erleichtert.“ (S. 161) Ob ein anderes Denken ihn verhindert hätte, darf darüber hinaus bezweifelt werden, aber es geht hier ja nicht um eine Erklärung des Faktischen, sondern um Schuldzuweisung. Und da reicht die Moralisierung. Auch wenn sie auf falschen Voraussetzungen basiert und in ihrer Stoßrichtung empirisch längst widerlegt ist: Es sind religiöse Menschen, die Natur- und Umweltschutz für wichtig erachten, nicht areligiöse. Im Rahmen der „Markt- und Werbeträgeranalyse“ des Allensbach-Instituts (2007) wurden Jugendliche und junge Erwachsene (14 bis 29 Jahre) gefragt, was für sie im Leben wichtig ist. Dabei wurde zwischen Menschen mit und ohne Religion bzw. feste Glaubensüberzeugung differenziert. In 21 der 26 Punkte lagen die Religiösen vorn, nur „Abenteuer/Spannung“, „materieller Wohlstand“, „Risiko“, „beruflicher Erfolg“ und „Spaß/Genuss“ stand bei den Areligiösen höher im Kurs. Bei „Verantwortungsübernahme“ – 47 zu 28 Prozent, „Naturerfahrung“ – 28 zu 22 Prozent und „Tierschutz“ – 33 zu 28 Prozent lagen die Religiösen vorn, mit denen angeblich kein Öko-Staat zu machen ist, weil sie einem Glauben anhängen, bei dem nur „dilettantisch pfuschen“ auf der To do-Liste steht.

8. Die völlig abstrusen Spitzen gegen Kirche und Papst, Religion und Glauben mögen als Schmankerl in einem Öko-Buch quasi brachenüblich sein, mit der Wirklichkeit haben sie nichts zu tun und auch das Vertrauen in den Autor steigt in Anbetracht der groben Unsachlichkeiten und krassen Denkfehler nicht sonderlich. Zum Themenfeld „Religion und Kirche“ ist mir selten eine kenntnisärmere, faktenschlankere und unredlichere Darstellung begegnet – und das will was heißen! Es ist mir völlig schleierhaft, wie Stephan Neumann in der aktuellen Ausgabe von „Christ in der Gegenwart“ (02.01.2011) zwar den überzogenen Fortschrittsoptimismus kritisiert (was angesichts des vom Autor sehr offen vertretenen Szientismus auch geboten ist), Schwägerls Ansichten zur Religion aber sehr wohlwollend aufnimmt, und ihm zugute hält, den „oft behaupteten Gegensatz zwischen fortschrittlicher Wissenschaft und Technik einerseits und konservativ rückwärtsgewandter Religion“ nicht aufzubauen. Ich denke, dass er es mit seinen haltlosen Anschuldigungen gerade tut. Auch der Rest des Buches ist nicht geeignet, zu dem Urteil zu gelangen, Schwägerl halte große Stücke auf Religion, die in der „Menschenzeit“ nur noch als naturwissenschaftlich durchdrungene Meditationstechnik vorkommt. Die Neumann-Rezension ist mit an der Stelle ein Rätsel.

Festzuhalten bleibt: Die Anschuldigungen stimmen nicht. Sie sind nicht mehr als erbärmliches Strohmann-Abfackeln und billige Feinbild-Kultivierung im Dienste der Zielgruppe. Da, wo die Forderungen Schwägerls berechtigt sind, sind sie längst erfüllt, da, wo sie nicht erfüllt sind, muss man sich fragen, ob sie berechtigt sind. Denn: Der Klimawandel ist nicht das einzige Problem. Bei allem Denken in großen Zeiträumen, an künftige Generationen, dürfen die, die hier und jetzt leben, nicht ganz vergessen werden. Die christliche Religion ist ein unverzichtbares Regulativ eines ökokratischen Denkens, dass in alter utopistischer Manier dabei ist, die lebende Generation zum Wohle kommender Generationen zu opfern.

Denn bei allem Einsatz für die Umwelt braucht es in der manchmal hysterischen Debatte besonnene Stimmen, die vor Fehlentwicklungen aus Übereifer warnen. Die Kirche ist so eine Stimme. So kommt es nicht von ungefähr, dass es die Kirche war, die dem Öko-Irrsinn „Biotreibstoff“ die rote Karte zeigte und betonte, dass die Produktion und Verwendung von Öko-Sprit zugunsten künftiger Generationen nicht zulasten der lebenden geschehen darf. „Morgen volle Tanks!“ – in Ordnung. Aber nicht, wenn das bedeutet: „Heute leere Teller!“

Ob die wissenschaftlich-technisch begründete „aufgeklärte Herrschaft“ was gemerkt hätte? Solange es die Kirche gibt, die man für den Hunger in der Welt haftbar machen kann (oder einen Papst, der sich weigert, auf Wanderschaft zu gehen), wohl kaum. Die Infragestellung der eigenen Voraussetzungen bekommt in dieser Herrschaftsform ohnehin noch weniger Raum als im archaischen Gottesstaat – Selbstregulierungsmechanismen: Fehlanzeige! „Wir sind aufgeklärt!“ Das reicht. Wer braucht da noch Beweise? Oder etwas technischer gesprochen: Wer kann im Zweifel menschliche Konventionen korrigieren, wenn sie ohne jede metaphysische Begründung, ohne jede tranzendentale Rückbindung, allein an der Konsequenz, einer vermeintlich fortschrittlichen Herrschaftspraxis, orientiert sind? Doch nur die „Feinde des Fortschritts“. Dazu gehört man nicht, so aufgeklärt man ist. Die Kirche in diesem Fall aber sehr wohl. Gott sei Dank!

Zugleich muss klar sein: Der anthropogene Klimawandel findet statt, dafür sprechen (leider!) überwältigende Indizien. Er ist mit Problemen verbunden, denen wir hier und jetzt entgegentreten müssen. Das ist die Verantwortung aller Menschen, ganz besonders aber derer, die daran glauben, dass sie sich einst vor Gott zu rechtfertigen haben. Wir müssen handeln – mit Augenmaß, aber entschieden, entschieden, aber mit Augenmaß. Die katholische Kirche ist dabei längst im Boot und hat, wo andere noch über den Kurs streiten, längst die Segel gesetzt und das Ruder übernommen.

(Josef Bordat)

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