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Ausland Türkei

Religionsbeamter sieht Deutschland im Niedergang

Moschee Moschee
Das Dach einer Moschee in Berlin: Künftig soll es nach dem Willen der Bundesregierung möglichst viele in Deutschland ausgebildete Imame in islamischen Gottenhäusern hierzulande geb...en
Quelle: dapd/DAPD
Der Vize-Chef des türkischen Religionsamtes spricht über deutsche Imame. Er fürchtet, dass Deutschland sich zu sehr der Angst hingibt.

In der laizistischen Türkei ist ein staatliches Amt für die Religion zuständig – das Diyanet. Die Behörde betreut auch die muslimischen Geistlichen, die nach Deutschland geschickt werden. Wie werden sie vorbereitet? Und wie sieht der Vizechef des Diyanet, Mehmet Görmez, das deutsche Vorhaben, eigene Imame auszubilden?

WELT ONLINE: Herr Professor, das Diyanet bildet seit 2003 Imame für den Einsatz in Deutschland aus. Wie?

Mehmet Görmez: Erlauben Sie zunächst einen Rückblick. Vor 50 Jahren kam die erste Welle türkischer Einwanderer nach Deutschland. Um ihre religiöse Betreuung – Seelsorge, Beerdigungen – hatte sich niemand Gedanken gemacht. Etwa 20 Jahre lang haben die Einwanderer improvisiert. Dadurch öffneten sich Einfallstore für alle möglichen religiösen Sekten und Bewegungen. Ab den 80er-Jahren begannen wir, über den dafür geschaffenen türkisch-islamischen Verband Ditib, Moscheen zu betreiben. Damals waren wir für diese Aufgabe nicht genug vorbereitet. Manche Imame, die wir entsandten, hatten nie zuvor eine Stadt gesehen, sprachen kein Deutsch und kannten die deutsche Kultur nicht.

WELT ONLINE: Was tun Sie heute?

Görmez: Erstens ist nun ein Hochschulabschluss in Theologie Voraussetzung, davor sieben Jahre an einem religiösen Gymnasium. Zum Curriculum gehören Sozialwissenschaft, Philosophie, Weltreligionen und Zeitgeschehen. Außerdem gibt es nun eine harte schriftliche und mündliche Prüfung für den Auslandseinsatz. Wir haben uns vor einigen Jahren an die Konrad-Adenauer-Stiftung gewandt und vorgeschlagen, gemeinsam die Imame auszubilden. Das Ergebnis ist, dass die angehenden Auslandsimame nun einen Sprachkurs am Goethe-Institut in Ankara absolvieren und einen Kurs über deutsche und europäische Kultur, dessen Inhalte von der deutschen Seite ausgearbeitet wurden. Seit fünf Jahren werden die Absolventen gemeinsam von uns und der deutschen Botschaft mit einem Empfang verabschiedet. Unser neuestes Projekt: Um deutschen Empfindlichkeiten entgegenzukommen, lassen wir geeignete Deutschtürken aus Deutschland in Ankara zu Imamen ausbilden. Dieses Jahr sind das 100 Studenten.

WELT ONLINE: Weiß man Ihre Bemühungen in Deutschland zu würdigen?

Görmez: Teilweise. Wir hatten ein sehr schönes Gespräch mit Bundespräsident Wulff, als er kürzlich die Türkei besuchte. Es gibt in Europa drei Modelle für diese Dinge: das englisch-pakistanische, das französisch-algerische und das deutsch-türkische. Hätte man in Deutschland nur zehn Prozent der Probleme, die man bei den anderen Modellen hat, dann gäbe es einen Aufstand. Man weiß nicht voll zu schätzen, wie viel wir leisten, um solche Probleme abzuwenden. Man will nun an deutschen Universitäten eigene Imame ausbilden.

WELT ONLINE: Ist das ein Problem?

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Görmez: Nein, aber gegenwärtig fehlt in Deutschland die Erfahrung für diese Aufgabe. Wir hoffen, dass diese Erfahrung mit der Zeit entsteht. Sehr geeignet erscheint uns die Goethe-Universität in Frankfurt am Main, dort besteht an der theologischen Fakultät eine Stiftungsprofessur für islamische Theologie in Kooperation mit uns. Aber genau diese Universität bekommt keine Lizenz für die Imam-Ausbildung, andere dagegen, die keine Erfahrung haben, bekommen die Lizenz.

WELT ONLINE: Warum ist das so?

Görmez: Wir haben in einem Brief um Erklärungen gebeten, aber keine Antwort erhalten. Ich habe da eine Idee, es wäre jedoch vielleicht nicht angebracht, das Ihnen, als Deutschem, so zu sagen.

WELT ONLINE: Keine Hemmungen. Ich bin Ungar.

Görmez: Es ist unbestreitbar, dass Deutschland lange eine Vorreiterrolle in Kultur und Philosophie ausübte. Aber leider befindet sich das Land seit einiger Zeit in einem ernsthaften kulturellen Niedergang. Es ist nicht gut, wenn ein Land sich der Angst hingibt.

WELT ONLINE: Und weiter?

Görmez: Kein Und. Nur so viel wollte ich sagen.

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WELT ONLINE: Vielleicht nimmt sich Deutschland ja das Diyanet als Vorbild, also Kontrolle des Islam durch staatliche Imam-Ausbildung – aber eben auf Deutsch und ohne türkischen politischen Einfluss.

Görmez: Schön gekontert. Ich sehe daran, dass wir, vielleicht wegen der christlichen Sichtweise, unseren deutschen Freunden immer noch nicht verständlich machen konnten, wofür wir stehen. Es gibt bei uns keine staatliche Kontrolle des Islam. Wissen ist die Grundlage für unsere Inhalte, nicht die Politik.

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