Julianus Pomerius – Das kontemplative Leben

Das noch druckfrische Buch „Julianus Pomerius. Das kontemplative Leben“ besteht aus zwei großen Teilen: erstens dem Leben und Werk des Julianus Pomerius und zweitens der Übersetzung des Werkes „De vita contemplativa“.

Über Leben und Werk im ersten Teil des Buches schreibt Daniel Bartels (1971–2020), das viel zu früh verstorbene Gründungsmitglied des Instituts St. Philipp Neri in Berlin. Es handelt es sich dabei um seine Lizenziatsarbeit, die er noch kurz vor seinem Tod fertigstellen konnte.

Julianus Pomerius lebte im 5. Jahrhundert und stammte aus Afrika, wahrscheinlich aus Mauretanien. Er ging nach Arles in Gallien, wo er ausgebildet und später selbst Lehrer der Rhetorik wurde. Es mußte ihm ein guter Ruf vorausgeeilt sein, denn verschiedentlich versuchte man, ihn von dort in andere Zentren des wissenschaftlichen Lebens locken. In Arles war der spätere heilige Bischof Cäsarius von Arles einer seiner Schüler. Wie dieser war auch Julianus Pomerius Kleriker geworden und führte ein Leben der Askese.

Die bekannteste Schrift des Pomerius, De vita contemplativa, ist wahrscheinlich zu Beginn des 6. Jahrhunderts und zum Ende seines Lebens hin entstanden. Sie besteht aus drei Büchern mit insgesamt 84 Kapiteln. Doch dieses Werk ist nicht, wie man dem Titel nach vermuten könnte, ein Lehrbuch über das kontemplative Leben. Vielmehr handelt es sich um ein pastorales Werk, das im Auftrag eines Bischofs geschrieben wurde. Dieser Bischof befand sich in einer Amts- und Lebenskrise.

Das Werk sollte ihm wieder Mut geben und ihm „zu einem neuen Verständnis seiner wichtigen Aufgabe“ verhelfen, damit er wieder Kraft und Zuversicht habe.

Das Buch, einfach, geradezu elegant verfaßt, ist nicht nur literarisch, sondern vor allem in asketischpastoraler Hinsicht bemerkenswert, was es gerade für unsere Zeit einer gewaltigen Kirchenkrise bedeutsam macht.

Pomerius wendet sich ja an Bischöfe und Priester. Und die Originalität des frühchristlichen Autors liegt gerade darin, daß er den Klerus – Priester und Bischöfe – sein Geheimnis lehrt, eben das Leben der Kontemplation mit dem Leben einer eifrigen apostolischen und pastoralen Tätigkeit zu verbinden.

Im ersten Buch wird das kontemplative Leben behandelt und der Unterschied zum aktiven Leben. Es macht deutlich, wie der Priester zum kontemplativen Leben gelangen kann. Sehr deutlich sind die Verweise auf bestimmte Grundpflichten des Bischofs: Verkündigung, Züchtigung, Armut und die Verwaltung der kirchlichen Güter.

Das zweite Buch befaßt sich mit den Tugenden, den Lastern, den priesterlichen Pflichten und Befugnissen: der Befugnis zur Sündenvergebung, der Beständigkeit des Lebens, der Nachahmung Christi, dem Wert der Askese und der Abtötung.

Im dritten Buch werden fast ausschließlich asketische Themen betrachtet. Es führt die Behandlung der Tugenden und Laster fort, die bereits vorher angesprochen wurden. Nun werden insbesondere der Stolz, die Demut, die Habgier, der Neid und die Kardinaltugenden behandelt.

Prof. Dr. Michael Fiedrowicz hat dem im Carthusianus Verlag 2023 erschienen Buch ein Vorwort vorausgeschickt. Er stellt darin fest, daß das Werk De vita contemplativa des Julianus Pomerius im Mittelalter weit verbreitet gewesen sei. Obwohl diese „Schrift in fremdsprachigen Übersetzungsreihen patristischer Texte Aufnahme“ gefunden hat, sei sie in die deutsche Sprache zuletzt im 19. Jh. übertragen worden.

Fiedrowicz verwundert diese „mangelnde Beachtung“ angesichts der Tatsache, daß Julianus Pomerius in diesem Werk „durchaus aktuelle Fragestellungen“ behandele, wie z. B. „die Spiritualität des kirchlichen Amtsträgers, das Verhältnis von actio und contemplatio im pastoralen Dienst sowie Formen der vita communis für den Klerus“. Und er weist darauf hin, daß auch heute zeitgemäße Fragestellungen wie „die von der theologischen Ethik der letzten Jahrzehnte geforderte ‚Rehabilitierung der Tugend‘“ thematisiert werden.

Tatsächlich müssen sich die Leser der Texte des Julianus Pomerius immer wieder vor Augen halten, daß seine Abhandlungen einem konkreten Bischof galten. Dennoch gelten sie gleicherweise auch heute noch jedem Kleriker, jedem Priester und Bischof – und sei es auch dem höchsten Würdenträger. Sie alle tragen die Verantwortung, sich um die Seelen der Gläubigen sorgen zu müssen. Doch können sie das nur, wenn sie selbst wissen, wie sie leben und (pastoral) handeln sollen.

Aus dem 2. Kapitel des 3. Buches, das überschrieben ist mit: „Der Hochmut ist die Ursache aller Übel“, wird folgend ein Abschnitt zitiert, um zu erkennen, wie der Autor in seinem Werk argumentiert:

„Der Anfang aller Sünde ist der Hochmut.“
Was kann Offenkundigeres gesagt werden,
was, das größere Zustimmung verdient?

„Der Anfang“ nicht von irgendeiner, sondern „aller Sünde ist der Hochmut“, so sagt sie [die Heilige Schrift], um einleuchtend aufzuzeigen, daß er die Ursache aller Sünden ist; denn nicht nur ist er selbst Sünde, sondern es konnte und kann gegenwärtig oder zukünftig ohne ihn auch keine Sünde geschehen, ist doch jegliche Sünde nichts anderes als eine Verachtung Gottes, wodurch seine Gebote mit Füßen getreten werden.

Zu dieser Verachtung Gottes verleitet den Menschen nichts anderes als der Hochmut, der auch beim Teufel selbst zur Ursache ewigen Verderbens geworden ist, so daß er aus einem Engel zum Teufel wurde. Schließlich hat auch er selbst im Wissen, daß er durch Stolz aus den himmlischen Gefilden gestürzt ist und in diesen Kerker voll finsterer Luft gestoßen wurde, dem Menschen, den Gott ohne eine Sünde gemacht hatte, zu dessen Zerstörung mit schlangenhafter Schläue das Laster des Stolzes eingeredet, und zwar in der Gewißheit, daß der Mensch nach Aufnahme des Stolzes, der die Ursache aller Übel ist, nunmehr leicht alle Sünden begehen würde, die nur von einem stolzen Sinn erdacht werden.

Daher kommt es, daß derselbe erste Mensch, durch die Überheblichkeit seines stolzen Geistes verdorben, seine gesamte Nachkommenschaft, die in ihm wurzelhaft angelegt war, der Unausweichlichkeit der Verderbnis und der Sterblichkeit anheimgab, so daß er, verderblich und sterblich geworden, verderbliche und sterbliche Wesen hervorbrachte und so das, was bei ihm der strafwürdige Hochmut angerichtet hatte, bei allen von ihm Abstammenden zur Strafe für die Sünde wurde.

Und darum können wir nicht mehr in der Weise der Sünde widerstehen, wie jener es konnte, für den nicht zu sündigen nichts anderes bedeutete, als es nicht zu wollen. Uns aber genügt es nicht, untadelig leben zu wollen, wenn nicht die göttliche Kraft unserem Wollen selbst zu Hilfe kommt, das aufgrund seines schwachen Vermögens versagt. Denn jenen konnte auch noch die gesunde Natur dabei unterstützen, nicht zu sündigen; uns jedoch hindert daran die bereits geschädigte Natur; und zum Sündigen veranlaßte jenen allein der Wille zu sündigen; uns nötigt sogar zumeist der bereits entstandene Zwang zur Sünde. Darum rufen wir zu Gott und sagen: „Aus meinen Nöten befreie mich.“

(Zuerst erschienen in Kirchliche Umschau, 2.2024)

Julianus Pomerius – Das kontemplative Leben
Carthusianus-Verlag 2023;
256 Seiten; € 29,90;
ISBN 978-3941862333

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