150 Jahr Unfehlbarkeit :
Die Erfindung des Katholizismus

Von Hubert Wolf
Lesezeit: 12 Min.
Das (Un-)Heil nimmt seinen Lauf: Eröffnung des I. Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1869 im Petersdom
Vor genau 150 Jahren wurde während des I. Vatikanischen Konzils eine Behauptung als von Gott geoffenbarte Wahrheit ausgegeben, die bis dahin als falsch gegolten hatte: dass der Papst alleine unfehlbare Entscheidungen fällen könne. Ein nachgerade klassisches Beispiel für Identitätssicherung durch „invention of tradition“.

Unter Blitz und Donner wurde am 18. Juli 1870 eine neue Kirche geboren. 535 Kardinäle und Bischöfe gaben während des Ersten Vatikanischen Konzils einer nach dem anderen in der Petersbasilika ihre Stimme ab. Feierlich dogmatisierten sie die Unfehlbarkeit des Papstes und den Universalen Jurisdiktionsprimat, die höchste Rechtsgewalt des Pontifex, mit der er in jede Diözese hineinregieren kann. Als Papst Pius IX. damit begann, die Dogmatische Konstitution „Pastor aeternus“ zu verlesen, war aus dem Gewitter bereits ein heftiges Unwetter geworden. Und als er zum Text des eigentlichen Dogmas kam, wurde es im Petersdom plötzlich stockfinster. Der Papst musste die Verlesung unterbrechen. Erst als man ihm Kerzen gebracht hatte, konnte er fortfahren und als „von Gott geoffenbartes Dogma“ verkünden: Der Papst besitzt, wenn er seine höchste Autorität ausübt und ex cathedra spricht, die Vollmacht, Lehren, die sich auf den Glauben und die Moral beziehen, unfehlbar vorzulegen, weswegen sie von „der ganzen Kirche festzuhalten“ sind. „Solche Entscheidungen des römischen Bischofs sind aus sich selbst (ex sese), nicht aber aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich.“

Ohne Abo weiterlesen
Dies ist kein Abo. Ihre Registrierung ist komplett kostenlos, ohne versteckte Kosten.
Oder 3 Monate für 1 € pro Monat Zugang zu allen FAZ+ Beiträgen erhalten und immer aktuell informiert bleiben.